Text: Julia Gspandl
Fotos: Sebastian Reiser

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Auch Texte können barrierefrei sein. Das Grazer Unternehmen capito zeigt mit leicht verständlicher Sprache, wie das funktioniert. Und beweist ganz nebenbei, wieso soziale Unternehmungen auch kommerziell sein dürfen.

Endstation, nennt es Klaus Candussi. Und erklärt: „Für Leute mit Lernschwierigkeiten wirkt Information, die sie nicht verstehen, wie Stiegen für einen Rollstuhlfahrer.“ Gemeinsam mit Walburga Fröhlich ist Candussi Gründer und Geschäftsführer von capito, einem Grazer Unternehmen, das auf leicht verständliche Sprache setzt, um barrierefreie Texte möglich zu machen. Denn Candussi weiß, dass Zugang zu Information der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben ist. Doch leicht verständliche Texte sind bei Weitem nicht nur für Menschen mit Lernschwierigkeiten relevant. „Wir arbeiten an einem Mainstream-Problem“, erklärt Candussi. „Die LEO-Grundbildungsstudie hat gezeigt, dass 60 Prozent der Bevölkerung maximal das Niveau B1 des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verstehen. Das ist knapp unter dem Level der Kronen Zeitung.“ Der Großteil an Informationen von Firmen, Behörden und Qualitätsmedien finde aber zumindest auf Niveau C1 statt. „Das geht kerzengerade aneinander vorbei“, sagt Candussi, „und verursacht auch Kosten.“ Diese entstehen nicht nur bei falsch aufgefassten Arbeitsanleitungen, sondern auch wenn Kundinnen und Kunden sich bei unklar formulierten Angeboten für konkurrierende Anbieterinnen und Anbieter entscheiden.

Was heißt es also nun, eine leicht verständliche Fassung anzufertigen? Für den capito-Qualitätsstandard Leicht Lesen existiert genauso wie für das Konzept Leicht verständliche Sprache ein Kriterienkatalog, der vom jeweils zugehörigen Netzwerk reglementiert wird und sowohl optische als auch sprachliche Anforderungen umfasst. Capitos Leichtes Lesen hebt sich allerdings dadurch ab, dass es zielgruppenspezifisch arbeitet. So muss beispielsweise bei fußballaffinen Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten das Wort „Foul“ nicht vermieden werden, auch wenn es ein Fremdwort darstellt. Ob die Übersetzung gelungen ist, wird anschließend durch eine Gruppe an Zielgruppenvertreterinnen und -vertreter geprüft. Viele Übersetzungen werden in drei Schwierigkeitsniveaus – A1, A2 und B1 – übertragen. Nach dem Scannen eines QR-Codes können die Leserinnen und Leser mithilfe der capito-App so selbst entscheiden, welches sie verwenden möchten.

Die Idee eines Social Business, also einem sozialen Unternehmen, das wirtschaftlich selbsterhaltend ist, erregte bereits 1992 bei Candussis erster Gründung alpha nova Aufregung. Doch die Kritik, dass Wirtschaft im Sozialbereich nichts verloren hätte, weist Candussi zurück. „Wir entwickeln gerade das capito-Prüftool und die capito-KI (Künstliche Intelligenz). Damit werden wir in ein paar Jahren viele Texte automatisch übersetzen. Die Entscheidung, capito als Business-Modell zu machen, bringt uns hier hin.“ Denn capito sei nicht wie ähnliche Projekte in anderen Ländern auf Subventionen angewiesen. Zusätzlich helfe das Franchise-Modell, capitos Konzept sprachlicher Inklusion im gesamten deutschsprachigen Raum und insbesondere auch in nicht-staatlichen Unternehmen zu verbreiten.

Und was ist Klaus Candussis Antwort an jene, die dem Leichten Lesen ein Verkommen der deutschen Sprache und ein Herabsetzen der Standards vorwerfen, das eine noch ungebildetere Gesellschaft herbeiführen wird? Er argumentiert das Gegenteil. „In der capito-App kann jeder selbst aussuchen, in welchem Niveau er lesen will, und jederzeit zwischen ihnen wechseln.“ So können Lesen und Verstehen in höheren Komplexitätsstufen geübt werden. Information auf eine Weise zu formulieren, die nur von einer beschränkten Elite verstanden werden kann, sei „eine gewisse Form von Arroganz“, stellt Candussi fest. „Eine inklusive Gesellschaft nützt nicht den Randgruppen, sondern sie nützt uns allen.“
Aus dieser Überzeugung entstand auch capitos aktuelles Projekt „Was braucht unser Land?“. Die Initiative interviewt gebildete und einflussreiche Personen zur Lage und Zukunft Österreichs und stellt die Ergebnisse in drei Leicht-Lesen-Niveaus zur Verfügung. „Die große Gefahr ist, dass unsere Gesellschaft auseinanderfällt“, meint Candussi. „Die Kluft, die wir haben, ist keine Kluft zwischen rechts und links. Sie ist vielmehr bildungs- und herkunftsmäßig definiert.“ Ob Wahlprogramme, Broschüren von Kulturveranstaltungen, Werbung oder Bücher – Information ist gesellschaftliche Teilhabe und infolgedessen: Zusammenhalt.