Text: Nadine Mousa
Fotos: Arno Friebes


Arbeit im Rotlichtmilieu – ein Job wie jeder andere

Oder doch nicht? Frau T. stand acht Jahre lang in einem berühmt-berüchtigten Grazer Nachtclub hinter der Theke. Als Barkeeperin hat sie tiefe Einblicke in die Realität von Sexarbeiterinnen bekommen. Unsere Redakteurin Nadine hat sie auf einen Spaziergang getroffen, nach ihren Beobachtungen gefragt und erfahren, welche Rolle Frau T.s Kinder in dieser Zeit gespielt haben.

Dass ich einmal in einem Bordell hinter der Theke stehen würde, hätte ich mir nie gedacht. Aber nach meiner Karenzzeit 2012 war ich lange Zeit auf Arbeitssuche. Bin zwischen AMS und diversen Jobs hin und her – so richtig gepasst hat es dann nie. Abends lange Dienste, Teildienste oder kurzfristige Dienstplanänderungen. Nach mehreren Anläufen stand ich wieder ohne Job da.

Beim Durchblättern einer Zeitung habe ich zufällig ein winzig kleines Inserat entdeckt, nur eine Zeile lang: „Kellnerin gesucht. Wochenende.“ Die Telefonnummer war schnell in mein Handy getippt. Ich wollte unbedingt arbeiten. Den Mann am Ende der anderen Leitung habe ich nach kurzem Gespräch um ein Bewerbungsgespräch gebeten. Darauf meinte der nur: „Das gibt es hier nicht. Komm am Freitagabend vorbei“. Wenige Tage nach dem Telefonat bin ich dann tatsächlich dort hin.

Ich habe von Anfang an gewusst, um welche Art „Club“ es sich handelt. Nach einer kurzen Google-Recherche war ich mir eigentlich sicher, dass ich nicht genommen werden würde. Keine Nachtclub-Erfahrung, zwei kleine Kinder zu Hause, Österreicherin. Vermutlich war es der Personalmangel, der mir zu dem Job verhalf. Es hat mich um einiges mehr Überwindung gekostet dort anzufangen als bei jedem anderen Job, aber ich wollte es probieren.

Mein Mann hat mich hingebracht. Ihm habe ich erst auf der Fahrt zum Club erzählt, um was für einen Job es sich handelt. Auch er war überzeugt davon, dass ich eine Absage bekommen würde, so ganz ohne Erfahrung in diesem Milieu. Während der Autofahrt war ich unrund, nervös. Mulmiges Gefühl. Als ich das Etablissement dann betreten habe, war alles düster, finster, eine Kellnerin war gerade dabei, die Kerzen anzuzünden. Der Chef hat mich sicher 20 Minuten warten lassen. Was für ein Start. Als er dann endlich aufgetaucht ist, hat er mich kurz gemustert und wir haben einen Termin für das Probearbeiten vereinbart. Und schon war ich fester Teil des Inventars. Ich wurde herumgeführt, mir wurden alle Lichtschalter erklärt, die Inhalte der Schränke und die Bar gezeigt. Das wars auch schon mit der Einschulung. Plötzlich stand ich allein da. Ich habe mir die Getränkekarte geschnappt und studiert. Die Preise waren einfach, die kann ich bis heute auswendig.

Die ersten Nächte in dem Nachtclub habe ich lebhaft in Erinnerung. Wie ein Lauffeuer hat sich herumgesprochen, dass es eine neue Mitarbeiterin gibt. An meinem ersten Samstag war die Hölle los. Viele meiner liebsten Vertrauten habe ich an diesem Abend kennengelernt. Mit den Kunden bin ich gleich ganz gut zurechtgekommen. Mit meinen neuen Arbeitskolleginnen war das anders. Einige Mädels waren nett, hilfsbereit. Andere haben mich total abgelehnt, haben mich als Konkurrenz empfunden. Aber ich bin schnell in die Rolle hineingewachsen, man muss sich eben behaupten, wenn man in ein fremdes Team kommt. Die Mädels haben immer durchgewechselt. Manche waren länger da, manche nur ganz kurz. Wie lange die Mädels im Club gearbeitet haben, war immer davon abhängig, wie viel Geld sie gerade benötigten. Manche hatten auch einen fixen Job in ihren Heimatländern, haben sich einige Tage Urlaub genommen und sind nur für kurze Zeit zu uns, um ihr Gehalt aufzubessern. Es waren einerseits junge Frauen dabei, andererseits auch manche um die fünfzig. Ganz verschieden. So unterschiedlich wie sie vom Alter her waren, waren sie auch in ihrer Erscheinung und ihrem Temperament. Keiner von ihnen hätte man auf der Straße angesehen, dass sie als Sexarbeiterin ihren Lebensunterhalt verdient.

Die ersten Wochen waren echt hart. Vor allem der Dienst am Samstag von 18:00 bis 04:00 Uhr. Sonntags ging es von 18:00 bis 02:00 Uhr. Es hat einige Monate gedauert, bis ich mich an den neuen Rhythmus gewöhnt hatte. Montags war ich gerädert. Aber ich hatte die restliche Woche frei, habe mehr verdient als bei jedem anderen Teilzeitjob, den ich bis dato hatte und genug Zeit für meine zwei kleinen Kinder. Also bin ich geblieben. Mein Mann hat sich zu Beginn nicht mit mir über meine neue Stelle gefreut. Schließlich habe ich ihn einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Manchmal habe ich ihm gesagt, dass ich selbstverständlich noch nach einem anderen Job suche. Aber aus Bequemlichkeit bin ich dann geblieben, auch weil mir die Wochenenddienste so gut gepasst haben.

Meine Arbeitstage – oder eher meine Arbeitsnächte – sind immer ähnlich abgelaufen: Ich bin in den Club gekommen, meist eine Stunde vor Öffnung. Die Geldtasche kontrollieren, Geld in das Wettcafé nebenan wechseln gehen, einen Kaffee trinken und noch eine rauchen. Dann habe ich die Kerzen angezündet und pünktlich aufgesperrt, die ersten Kunden haben nämlich immer schon gewartet. Ich hatte vom ersten Tag an Stammgäste, die zuverlässig um 18:00 Uhr an die Tür geklopft haben. Die sind dann auch meist das ganze Wochenende über während meiner Schichten bei mir der Bar gesessen. Die waren die ganze Nacht da und haben sich mit mir unterhalten. Wir haben so viel Spaß gehabt. Obwohl: Am Anfang war diese ununterbrochene Aufmerksamkeit gewöhnungsbedürftig. Als Neuling in dieser Männer-Welt war ich sehr dankbar für die Mädels, mit denen ich mich gut verstanden habe, die haben mich tatkräftig unterstützt. Teilweise habe ich mich schon wie ein Tier im Zoo gefühlt. Es war eine „respektvolle“ Beschauung – wenn es sowas denn überhaupt gibt. Meine Grenzen musste ich von Anfang an klar durchsetzen. Mühsam. Es hat zwei Jahre gedauert, bis alle Kunden verstanden haben, dass es bei mir nichts gibt außer Getränke.

Die Kunden waren unterschiedlich. Die, die für schnellen Sex gekommen sind, waren meist allein da. Immer sehr ruhige Typen, nicht unangenehm. Unaufdringlich und höflich. Die haben ihre Zeit mit einem Mädel auf dem Zimmer verbracht und sind wieder gegangen. Dann hat es die gegeben, die regelmäßig bei mir an der Bar saßen, nur um zu schauen und ein Bier zu trinken. Und dann hat es die Gruppen gegeben. Meist junge Männer, die zum Feiern ausgehen und dann über Umwege im Bordell landen. Manchmal waren dann nur ein oder zwei der Jungs mit einem Mädel auf dem Zimmer, den anderen war es zu teuer. Die haben an der Bar gewartet, getrunken und gequatscht. 99 Prozent der Kunden waren pflegeleicht. Es will schließlich niemand von der Polizei aus so einem Lokal abgeführt werden, das würde zu viel Aufmerksamkeit erregen.

Das Klientel bestand nur aus Männern. Die sind zum Teil aus Graz-Umgebung, Leoben oder von noch weiter her angereist. Zu meiner Zeit waren in dem Club wunderschöne Mädels. Eine hübscher als die andere. Immer mindestens zwanzig Mädels. Die meisten kamen aus Osteuropa, ganz viele aus der Slowakei, wenige aus Rumänien und Tschechien. Keine einzige Österreicherin. Soweit ich das mitbekommen habe, sind alle Mädels freiwillig aus dem Ausland gekommen, um im Club zu arbeiten. Natürlich nicht aus Lust an Sex mit fremden Männern. Viele haben sich in großen Notlagen befunden, vor allem finanziellen. Die persönlichen Probleme waren vielfältig: alleinerziehende Mütter mit kranken Kindern oder Frauen, die ihre Eltern oder Verwandte pflegen müssen. Da waren schon echt heftige Schicksale dabei. Das hat mir wirklich leidgetan. Viele existenzielle Ängste. Sie haben hier einfach gut verdient, besser als in jedem anderen Job. Was mir erst nach langer Zeit bewusst wurde: Ein Hauptgrund für die Mädels, dort zu arbeiten war, dass sie ihren Verdienst jeden Tag in bar ausgezahlt bekommen haben. Sie mussten nicht einen Monat arbeiten und dann noch auf die Überweisung warten. Viele waren bereit, alles zu tun, um am Ende des Abends mit voller Brieftasche in ihre Unterkunft zu gehen.

Ich habe acht Jahre in dem Club gearbeitet. Erstaunlich: Zu Hause habe ich während dieser Zeit nie mit meinem Mann gestritten. Keine Eifersuchtsszenen. Ich habe ihm immer wieder angeboten, auf ein Getränk zu mir zu kommen. Aber das ist nie passiert. Ganz selten hat er mich abgeholt, aber sonst hat er sich ferngehalten. Meine Erzählungen über die Arbeit haben zu Hause immer für Lacher gesorgt. Die haben sich herrlich amüsiert über meine Arbeitserfahrungen.
Irgendwann hat mich im Kindergarten beim Abholen meiner zwei Kinder jemand gefragt, wo ich arbeite und ich habe ehrlich geantwortet. Klar hat das für Verblüffung gesorgt, aber die erwartete Ablehnung blieb aus. Aber ich bin mir sicher, dass damals viel hinter meinem Rücken über meinen Arbeitsort gesprochen wurde. Vermutlich nicht in den höchsten Tönen. Bei manchen habe ich schon an der Reaktion gemerkt, dass sie über meine Auskunft erschrocken waren. Mit meinen Kids habe ich lange Zeit nicht darüber gesprochen, wo ich arbeite. Sie haben zwar die Mädels und meinen Chef kennengelernt, aber das nur tagsüber, wenn das Lokal leer und hell war. Es war mir aber wichtig, sie nicht ganz außen vor zu lassen. Schließlich habe ich viel Zeit dort verbracht. Vor allem mein Chef hat dafür gesorgt, dass ich mich wohlfühle. Ihn habe ich weniger als meinen Vorgesetzten, mehr als meinen Freund und Vertrauten wahrgenommen. Er hat meine Privatsphäre und die meiner Kids immer zur Priorität gemacht. Meine offizielle Berufsbezeichnung, auch für meine Kinder: Fitnesstrainerin. Ich habe eine Ausbildung in dem Bereich, deshalb war es auch recht glaubwürdig zu behaupten, ich wäre die Personal Trainerin des Bordell-Besitzers. Das hat gut funktioniert, solange meiner Kinder klein waren.

Bedrohliche Situationen hat es wenige gegeben. Peinliche dafür schon. Einmal ist der Vater einer Kindergartenfreundin meiner Tochter hereinspaziert. Ich kann mich gut an diese Begegnung erinnern. Plötzlich gab es diese Überschneidung zwischen meinem Privatleben als Mutter und mir als Barfrau in einem Bordell. Der Vater hat mich sofort erkannt, ich ihn natürlich auch. Meine hüftlangen, feuerroten Haare sind auch ziemlich einprägsam, dadurch erkennt mich jeder Mensch wieder, auch von hinten. Er hat mich vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen gemustert und war vermutlich erstaunt darüber, wie „normal“ ich in meiner Erscheinung war. Dunkle Jeans, T-Shirt, Cardigan. Ich sah genauso aus wie immer. Ich konnte an seinem Blick sehen, wie sehr er mich sich gerungen hat. Gehen oder bleiben? Er blieb. Der war immerhin alleinstehend und nicht verheiratet. Solche Situationen gab es immer wieder. Manche sind wieder gegangen, wenn sie mich hinter der Theke stehen sahen und sind wiedergekommen, wenn ich keinen Dienst hatte. Anderen war es egal, die haben ihren Abend ganz normal bei uns im Club verbracht.

Außerhalb war es manchmal echt grenzwertig. Wenn ich mit meinen Kindern in meiner Freizeit unterwegs war, wollte ich nicht von Kunden angesprochen werden. Einmal hat mich im Murpark ein Mann, ein Stammgast, gegrüßt und angesprochen. Wenn ich allein gewesen wäre, von mir aus. Aber wenn ich mit meiner Familie unterwegs war, passte das einfach nicht. Das war meine Grenze. Ich hätte ihn ja auch nicht gegrüßt, wenn er mit seiner Frau unterwegs gewesen wäre. Es ist aber natürlich auch lustig, jemanden zu sehen und zu wissen, wo er letzte Nacht war. Ich verurteile das nicht. Es entstehen zum Teil auch Liebesgeschichten im Nachtclub. Es ist keineswegs so, dass die Kunden zu uns kommen, ihre Bedürfnisse befriedigen und wieder gehen. Ein paar haben sich dort leider Gottes schwer verliebt. Selten wurde diese Liebe von den Mädels erwidert. Das war oft echt traurig, wenn einsame Männer die große Liebe suchen und dann glauben, sie durch gekauften Sex gefunden zu haben. Manche Mädels haben die sogenannte „Girlfriend Experience“ ermöglicht, also sich liebevoll gegeben und wie eine „Freundin“ verhalten. Anderen war das zuwider. Die haben trocken und mit Distanz ihren Job erledigt. Dann gab es die, die um jeden Preis ihre Grenzen gewahrt haben und zum Teil zahlende Kundschaft rausgeschmissen haben, wenn die zu weit gegangen sind. Das Gegenteil gab es leider auch: Manche haben für Geld beinahe alles gemacht. Eines der Mädels hatte ein schwer krankes Kind zu Hause. Um ihre Wohnung den Bedürfnissen ihres Kindes anpassen zu können und die Medikamente zu bezahlen, hat sie bei uns im Club gearbeitet. Sie hat alles getan, um an Geld zu kommen. Natürlich hat sie das nicht gern oder aus Lust an der Arbeit gemacht. Ihr Leitsatz: „Wenn ich den Kunden sage, dass alles geht, sind die mit Kleinigkeiten zufrieden“. So hatten alle ihre eigenen Strategien. Die Mädels haben auch nicht jedem Typen das gleiche Programm angeboten. Je nach Sympathie waren die Angebote flexibel.

Angst um die Mädels habe ich kaum gehabt. Fast alle verfügten über eine sehr gute Menschenkenntnis. Also haben sie nur Männer mit aufs Zimmer genommen, die für sie in Ordnung waren. Wenn es nicht gepasst hat, haben sie auch abgelehnt. Aber um sicherzugehen, dass in den Zimmern alles mit rechten Dingen zugeht, hat es einen Kontrollmechanismus gegeben: Wir haben immer wieder telefoniert, es hat fixe Telefonzeiten geben. Mindestens einmal pro Stunde haben wir telefoniert. Das war einerseits ein Aspekt der Sicherheit, andererseits auch zur finanziellen Absicherung. Denn wenn ein Freier eine Stunde bezahlt hat und sich nach 50 Minuten nicht langsam auf den Weg nach draußen macht, dann habe ich angerufen und nachgefragt. „Braucht ihr was? Soll ich euch Getränke aus Zimmer bringen?“ Kassiert wurde immer im Vorhinein. Manchmal habe ich kassiert, manchmal die Mädels. Die Preise waren alle je nach Leistung und Zeit fix. Was die Mädels dann in den Zimmern noch so verhandelt haben, weiß ich natürlich nicht.

Bei den Mädels gab es verschiedene Regeln. Welche genau, weiß ich nicht. Ich war zwar vertraut mich ihnen, aber sie haben dann doch den Unterschied zwischen mir als Kellnerin und ihren Kolleginnen gemacht, die Sexarbeiterinnen sind. Über alles haben sie nicht mit mir gesprochen. Da war ich außen vor. Details wollte ich ehrlich gesagt gar nicht wissen. Neugier habe ich nie empfunden, weil die Mädels am Anfang sehr offen über alles, was so in den Zimmern gelaufen ist, gesprochen haben. Mir war das oft zu intim und peinlich. Ich habe die Typen dann ja bewirten müssen, da wollte ich nicht wissen, wie sie nackt aussehen. Man würde meinen, dass einem irgendwann nichts mehr peinlich ist, aber dieses Gefühl wollte ich mir ganz bewusst bewahren.

Man würde vielleicht meinen, dass Gewalt in so einem Etablissement eine Rolle spielt – ich kann das Gegenteil behaupten. Selbst wenn Männer stundenlang eines der Mädels bezirzt haben und zig Getränke ausgegeben haben, sie dann aber nicht mit ihm aufs Zimmer wollte, habe ich nie aggressives Verhalten beobachtet. Das Ablehnen hatte dann meist einen guten Grund, weil zum Beispiel das von ihm vorgeschlagene Programm nicht gepasst hat. Umgekehrt hat es das auch gegeben. Manchmal hat eines der Mädels zwei Stunden in einen Mann investiert, der aber nur quatschen wollte. Praktisch Zeitverschwendung. Aber es gab ja immer genug Auswahl. Sowohl bei den Mädels als auch bei den Kunden. Unter den Mädels hat es immer wieder Zänkereien gegeben. Vor allem wenn sie betrunken waren. Bei Stammgästen ist es immer wieder vorgekommen, dass sie zu ihrem üblichen Mädel ein zweites oder drittes dazuhaben wollten. Da haben sich die Mädels dann oft gegenseitig bekriegt, ihr Revier verteidigt. Ich stand dann als Schlichterin dazwischen. Der Kunde ist definitiv nicht König, aber er muss sich aussuchen können, mit wem er aufs Zimmer gehen will. Die Mädels wollten oft nicht verstehen, dass die Männer Abwechslung schätzen. Aber ganz ehrlich: Vielen Kunden haben die Streitereien gefallen, die sind teilweise extra dafür gekommen. So eine kleine Eifersuchtsszene hat einigen Kunden oft mehr gegeben als eine Stunde am Zimmer.

Zu Beginn wollte ich allen helfen. Raushelfen. Aber ich habe schnell gemerkt, die einzige Hilfe, die ich wirklich anbieten kann, ist zuzuhören. Viele wollten nicht „raus“. Das hat mir gezeigt: Sexarbeit ist ein Beruf wie jeder andere auch. Wer das mental und körperlich schafft und es sich gut überlegt hat, der soll das machen. Warum nicht? Die Mädels dort haben fleißig gearbeitet. Haben die Untersuchungen wahrgenommen, haben sich selbst versichert, um weitere medizinische Hilfe zu bekommen. Obwohl ich einen guten und positiven Einblick in die Szene bekommen habe, stand für mich nie zur Debatte, selbst Sex anzubieten. Die Typen dort waren nett und respektvoll, aber Sex mit ihnen zu haben ist noch einmal etwas anderes, als mit ihnen zu reden und sie zu bewirten. Das wollte ich nicht. Das wäre für mich das Uninteressanteste, was ich mir vorstellen kann.

Die Zeit im Nachtclub hat mich viel gelehrt. Gerade von den Mädels habe ich viel mitnehmen können. Eine positive Lebenseinstellung zum Beispiel. Auch, dass man nicht immer alles so ernst nehmen muss und nach einem Tief immer wieder ein Hoch kommt. Und Mut. In der Hinsicht waren die Mädels tatsächlich Vorbilder für mich. Zu einigen halte ich bis heute engen Kontakt. Über die Jahre sind innige Freundschaften entstanden. So wild manche von ihnen waren, genauso liebenswürdig waren sie.

Nach acht Jahren in dem Club habe ich 2018 gekündigt. Der Hauptgrund? Meine heranwachsenden Kinder. Ich hatte riesige Angst davor, dass sie wegen meines Arbeitsplatzes in der Schule gehänselt werden könnten. Außerdem wurde es komplizierter, über meinen Beruf zu lügen. „Mama ist Fitnesstrainerin!“, haben meine Kinder immer brav aufgesagt. Das war im ersten Moment auch glaubwürdig. Aber sobald nachgefragt wurde, wo ich arbeite und wann, wurde es eng. Dieses Kartenhaus aus Lügen aufrecht zu erhalten war unmöglich. Auch die Arbeitszeiten haben nicht mehr zu unserem Familienleben gepasst. Wochenendes konnte ich nichts mit meinen zwei Kindern unternehmen, weil ich nachts arbeitete und tagsüber zu müde war. Ich wollte, dass sich etwas ändert. Es war einfach Zeit zu gehen.

In diese Welt zurückkehren würde ich nicht so schnell. Da müsste sich einiges ändern. Dennoch bin ich froh, diese Erfahrungen gemacht zu haben. Auf Sexarbeit habe ich einen anderen Blick als vor meiner Zeit im Club. Es herrscht so viel mehr Professionalität, als man denken würde. Sexarbeiterinnen leisten einen wichtigen Beitrag in unserer Gesellschaft. Ihre Arbeit dient als Puffer, schafft für Menschen einen Ort der Freiheit und Auszeit von ihrem Alltag. Sexarbeit ist nicht schlimm, die Bedingungen rund herum aber schon. Das Stigma. Die Vorurteile. Da gibt es noch vieles, das sich zum Besseren hin verändern muss.

Fakten:

Sexarbeit ist vielfältig. Darunter fallen Sexarbeitende, die auf der Straße stehen oder in einem Bordell arbeiten. Unter diese Bezeichnung fallen auch die Sexualassistenz, Escort Services, Hausbesuche und Wohnungsprostitution. Wichtig ist, dass es sich hier um ein freiwilliges Anbieten sexueller Dienstleistungen handelt.

Laut dem 4. Bericht der AG Prostitution waren und sind ungefähr 95% der Sexdienstleisterinnen im legalen Bereich Migrantinnen, davon die Mehrzahl aus den EU-Ländern Rumänien, Bulgarien, Ungarn und der Slowakei. Viele Asylwerberinnen arbeiten als Prostituierte, da es die einzige legale Arbeitsmöglichkeit für sie ist und sie so medizinische Versorgung erhalten können.

2019 wurden dem österreichischen Bundeskriminalamt 718 Rotlichtlokale gemeldet, die hauptsächlich als Bordelle, Laufhäuser, Saunaclubs, Go-Go-Bars, Table-Dance-Lokale und Studios geführt werden – 94 davon in der Steiermark. Kein einziges der 718 Etablissements richtet sich an Frauen als Kundinnen.

Die Sicherheitsberichte von 2013 bis 2017 zeigen eine relativ konstante bundesweite Gesamtzahl von circa 7.000 registrierten Sexdienstleister:innen auf. 2018 wurde ein leichter und 2019 ein deutlicher Rückgang auf 6.432 Personen verzeichnet.

Das Beratungszentrum Sophie (www.sophie.or.at) sowie die Berufsvertretung Sexarbeit Österreich (www.berufsvertretung-sexarbeit.at) informieren und beraten Sexarbeiter:innen kostenlos und anonym.

Die Ausübung der Sexarbeit wird in Österreich durch mehrere Gesetze geregelt. Im AIDS-Gesetz und Geschlechtskrankheitengesetz sind die so genannten amtsärztlichen Untersuchungen für Prostituierte vorgeschrieben. Demnach müssen sie sich alle sechs Wochen einer Gesundenuntersuchung unterziehen und mindestens alle drei Monate einen AIDS-Test machen.

Nur wer diese Untersuchungen wahrnimmt bekommt einen Stempel in die Kontrollkarte (der sogenannte „Deckel“ oder „grüne Karte“) und ist somit bewilligt zu arbeiten.

Die sog. abolitionistischen Bestrebungen zielen auf ein Verbot von Prostitution ab. Die Begründung: Prostitution ist Ausdruck von weiterhin bestehenden ungleichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Machtverhältnissen zwischen Frauen und Männern. Prostitution wird als bezahlte Vergewaltigung erachtet, die Frauen zur Ware degradiert und mit Menschenhandel gleichgeset