Text: Daniela Rittmannsberger
Fotos: Peter Pataki

Gemeinsam altern?

Von Südtirol über Australien in die Steiermark: Antonia Hirmke hat ein bewegtes Leben hinter sich. Nun sehnt sich die 81-Jährige nach Gemeinschaft und Beschäftigung – und möchte eine Senior_innen-WG am Bauernhof gründen. Daniela Rittmannsberger hat Antonia Hirmke kennengelernt und ein symbolhaftes Porträt eines großen Problems aufgeschrieben: Alterseinsamkeit.

Johanniskrautöl steht auf dem Etikett des Einmachglases. Daneben reiht sich Glas an Glas, gefüllt mit eingelegtem Gemüse und Kräutertinkturen. Kleine Holzkisten mit Nüssen und getrockneten Kräutern stehen im Regal daneben. Sie ist eine Sammlerin, sagt Antonia Hirmke von sich selbst. An jeder Ecke und im Garten bewahrt sie Werkzeug auf. Auf den Schränken stapeln sich Umzugskartons und Schachteln. Die gebürtige Südtirolerin ist bereit, ihren großen Plan jederzeit umzusetzen. Denn seit Jahren wartet sie darauf, dass sich ihr Traum von einer Senior_innen-WG am Bauernhof in die Tat umsetzen lässt.

Ein bewegtes Leben

Mittlerweile ist Antonia Hirmke 81 Jahre alt. Die Jahre haben sie nicht langsamer gemacht – im Gegenteil: Schnell huscht sie von einer Ecke in die nächste, überall befindet sich etwas, das sie über die Jahre sorgfältig aufbewahrt hat. Bücher, Zeitschriften und Werkzeug zum Beispiel. Sie trägt eine dezente Brille, ihre weißen Haare sind kurz geschnitten. Statt einer Schürze, wie in ihrem Alter oft üblich, bevorzugt sie eine Jeans und einen pfirsichfarbenen Pullover. Stillsitzen, das kann sie nicht. Trotz ihres Alters werkt sie den ganzen Tag in ihrer Wohnung – sie „pfuscht“ gerne, wie sie es formuliert, und probiert Sachen aus. Denn ohne Spaß würde man des Lebens überdrüssig werden, ist sich die eigenwillige Frau sicher. Wenn Antonia Hirmke spricht, merkt man, dass Mureck nicht ihre ursprüngliche Heimat ist. Ihren Südtiroler Dialekt hat sie nie ganz abgelegt. Ihre Kindheit in Italien sei kein Honiglecken gewesen, erinnert sich die aufgeweckte Pensionistin. Einen Beruf kann sie nicht erlernen. Zum Arbeiten geht die Frau in die Schweiz, das verdiente Geld muss sie zu Hause wieder abgeben. Die Zeit in der Schweiz bleibt der quirligen Frau in guter Erinnerung. Sie arbeitet in kleinen Hotels als Mädchen für alles und als Au-pair-Mädchen in Genf. Und erlernt Sprachen wie Französisch und Italienisch. Drei Monate verbringt Antonia Hirmke außerdem in Australien. Hätte sie ein Visum erhalten, wäre sie geblieben, erzählt sie. Zurück in der Schweiz lernt sie ihren ersten Ehemann kennen und zieht mit ihm nach Gleisdorf. Sie bekommen drei Kinder, zwei Buben und ein Mädchen. Doch ihr Familienleben wird für sie zu einem Martyrium: Ihr Mann betrügt sie und greift sie körperlich an. Die Frau lässt sich scheiden und die Kinder wachsen bei Pflegefamilien auf. Einige Zeit später heiratet Antonia Hirmke zum zweiten Mal und zieht mit ihrem Ehemann nach Wien. Dort wird sie dann schwer krank. Das sei seelisch bedingt gewesen, ist sie heute überzeugt. Ihr Ehemann stirbt schließlich, als sie selbst 52 Jahre alt ist. Antonia Hirmke kehrt daraufhin in die Steiermark zurück. Die Kinder sind mittlerweile erwachsen und der älteste Sohn bekommt das Haus. Es folgen Jahre des Streites, denn er habe ihr alles genommen, erzählt sie. Sie beschließt daraufhin: Ich gehe ab jetzt meinen eigenen Weg.

Saustall statt Küche

Seit 2012 lebt Antonia Hirmke nun im südsteirischen Mureck. Seit sie Gleisdorf verlassen hat, träumt sie von einer Senior_innen-WG auf einem Bauernhof. Seit Jahren gibt sie dafür Annoncen in Zeitungen auf. „Will eine WG am Bauernhof gründen“ steht dann da. Selbst in der Barbara Karlich Show war sie zu Gast. Immer wieder spricht sie über ihren Traum – und ihre sehr konkreten Vorstellungen: „Ich suche vier Männer, die miteinander einen Bauernhof übernehmen würden. Auf Leibrente, Mietkauf oder für eine langfristige Pacht. Auf dem Bauernhof leben dann vier bis sechs Senioren, die die leichteren Aufgaben wie die Haus- oder Gartenarbeit übernehmen.“ Auf ihre Artikel in der Zeitung melden sich immer wieder Menschen. Die meisten, erzählt Antonia Hirmke, glauben aber, sie habe bereits einen Bauernhof. Dabei ist die Frau nicht nur auf der Suche nach Mitbewohner_innen, sondern auch nach einem Bauernhof. Seit ihrer Kindheit träumt sie davon, auf einem Bauernhof zu leben. Ihre Mutter fragte sie damals: „Wenn du dich entscheiden müsstest, wo würdest du lieber mitarbeiten: Saustall oder Küche? Ich habe den Saustall genommen“, erinnert sich Antonia Hirmke. Als junge Frau wünscht sie sich einen Mann mit Hof. Gefunden hat sie ihn nicht. Sie selbst und ihren Wunsch kennen mittlerweile viele: „Meine Telefonnummer kennen viele Menschen. Manche rufen auch bei mir an, um sich zu erkundigen, ob ich bereits einen Bauernhof gefunden habe.“ Und viele Menschen fragen auch: „Was, warum möchtest du in deinem Alter noch etwas machen? Lass es dir doch gut gehen!“ Doch dafür ist die rüstige Dame nicht gemacht. Viel zu gerne kocht sie Kräuter und Gemüse ein und macht ihre eigene Medizin. Kleine Wehwehchen versorgt sie seit vielen Jahren selbst, Tabletten braucht sie nicht. Die Gläser stehen in Holzregalen, die sie selbst gebaut hat. Mit ihrem Werkzeug. All das bewahrt sie auf, um es auf dem Bauernhof verwenden zu können.

Sehnsucht nach Gemeinschaft

In ihrer kleinen Wohnung in Mureck verkümmere sie, erzählt Antonia Hirmke. Sie ist viel alleine, denn Freundschaften zu finden ist schwer. Und sie vergisst immer mehr. Mit sich selbst spricht sie oft Italienisch und Französisch, um nicht aus der Übung zu kommen. Immer mit dem Lied „La Paloma“ im Kopf, erzählt sie. Dabei möchte die aktive Frau am liebsten in einer Gemeinschaft leben und körperlich und geistig aktiv bleiben. Sie sei einfach nicht der Typ, der sich langweilen will, sagt Antonia Hirmke. Deshalb hegt sie für ihre Senior_innen-WG auch weitere Pläne: „Ich möchte eine Hobby-Reparaturwerkstatt machen – für Männer und für Frauen. Ich möchte alte Handwerkskunst wiederbeleben.“ Sie selbst mache lieber bei den Männersachen mit. Ein Wald wäre schön und eine Gemeinschaftsküche mit einem großen Tisch, an dem alle Platz haben und gemeinsam essen können. Ein paar Ansprüche stellt die zielstrebige Steirerin noch an ihren zukünftigen Bauernhof: „Der Hof sollte im Flachland sein und nicht im steilen Gelände. Und es sollte eine gute Bus- und Bahnanbindung geben.“ Denn Antonia Hirmke hat keinen Führerschein. Sie fährt stattdessen mit dem Rad die ganze Gegend rund um Mureck ab. Den Bauernhof sucht sie aber eher in der Gegend Graz-Umgebung und Leibnitz. Wenn es passt, kommt aber auch ein anderes Bundesland in Frage, sagt sie.

Bis heute hat Antonia Hirmke ihren Traum von der Senior_innen-WG am Bauernhof nicht aufgegeben. Trotz Rückschlägen und Enttäuschungen – denn der Wunsch nach einer Beschäftigung und Gemeinschaft ist einfach zu groß: „Darum höre ich nicht auf zu suchen.“ Sie kann sich aber auch andere Formen des Zusammenlebens vorstellen. Mit Kindern zum Beispiel: „Mir ist es wichtig, auch mit Kindern zusammen zu sein, denn sie werden nicht müde. Ihnen kann ich etwas von meinen Erfahrungen weitergeben und Bücher habe ich auch. Und ich könnte mit ihnen meine Sprachen auffrischen.“ Deshalb könnte sie sich auch vorstellen, gemeinsam mit einer Familie auf dem Bauernhof zu leben und mitzuhelfen. Und sich um Tiere zu kümmern. Denn noch etwas ist Antonia Hirmke wichtig: „Ich möchte Verantwortung übernehmen. Der Mensch braucht Verantwortung.“ Aufgeben kommt für Antonia Hirmke nicht in Frage. Denn sie ist davon überzeugt, dass sich ihre Pläne in die Tat umsetzen lassen. Und ein Leben mit Gleichgesinnten auf dem Bauernhof in nicht mehr allzu weiter Ferne ist.