Erik Ginanjar Nugraha
Plastikfrei im Paradies
Isabel and Melati Wijsen waren zehn und zwölf Jahre alt, als sie sich entschlossen, etwas gegen das Plastik-Problem auf Bali zu unternehmen. Diesen Sommer haben sie es geschafft: Die Ferieninsel hat Einwegplastik verboten. Nora Partl hat auf Bali zwei Schwestern kennengelernt, die den Beweis liefern: Kinder haben Macht.
Es ist Samstag 15:00. Wolkenloser Himmel und gleißender Sonnenschein erwarten Surfer_innen und Sonnenanbeter_innen am Seseh Beach im kleinen Ort Pererenan auf Bali. Kinder und Jugendliche in Schuluniform mischen sich unter die Strandbesucher_innen und sammeln mit einem großen Sack in der einen und einer langen Zange aus Holz in der anderen Hand Zigarettenstummeln, Strohhalme und Plastik aus dem schwarzen Sand auf. Mitten im Getümmel: Melati und Isabel Wijsen. Die beiden Schwestern, die seit Jahren gegen die Plastikverschmutzung auf ihrer Heimatinsel Bali kämpfen und damit internationale Bekanntheit erlangten.
Die Plastikverschmutzung auf Indonesiens bekanntester Insel wurde vor allem in den letzten Jahren und vor allem in der Regensaison zu einem Riesenproblem. Ein Problem, dessen sich die Regierung lange Zeit nicht angenommen hat. Aus diesem Grund haben Melati und Isabel Wijsen beschlossen, zu handeln. Die beiden Schwestern waren zehn und zwölf Jahre alt, als sie an einem Schultag im Jahr 2013 über das Wirken von Persönlichkeiten wie Nelson Mandela oder Martin Luther King lernten. An diesem Tag kamen die beiden nach Hause und überlegten, wie sie als Kinder auf Bali lebend die Welt um sich herum ein wenig besser machen können. Plastik war und ist im täglichen Leben von Isabel und Melati so omnipräsent, dass es für die Mädchen kaum möglich war, es zu ignorieren. Ob beim Spielen in den Reisfeldern, am Strand oder auf den Straßen Balis – Plastik schwamm in Flüssen und verstopfte die Kanalisation. „Wir wachsen auf einer Insel auf und sehen Tag für Tag die negativen Effekte, die Plastik hat. Das Plastik-Problem ist so dermaßen präsent, dass wir uns an diesem Tag überlegten, was wir dagegen tun können“, erzählen die Schwestern vom Schlüsselmoment, aus dem heraus die Organisation Bye Bye Plastic Bags entstand.
Melati und Isabel starteten ihr Vorhaben, Bali einwegplastikfrei zu machen, mit Strandreinigungen und Vorträgen in Schulen. Sie referierten darüber, dass die Insel der Götter immer mehr und immer schneller zu einer Plastikinsel wurde und dass Indonesien der zweitgrößte Plastikverbraucher weltweit nach China ist. Auf Bali werden täglich über 680 m3 Plastikmüll generiert und nur knapp 48 Prozent des Mülls werden verantwortungsbewusst verwertet; der Rest landet entweder im Meer oder wird auf den Straßen verbrannt. Über 33.000 Tonnen Müll landen jährlich im Gewässer rund um Bali. Großen Anteil daran haben insbesondere Touristinnen und Touristen, die täglich drei Mal so viel Müll verbrauchen wie Einheimische. Die immense Plastikverschmutzung führte 2017 sogar bis zum Ausrufen des Müllnotstands auf der Insel. Mit der Gründung von Bye Bye Plastic Bags setzten sich Melati und Isabel das Ziel, Plastiksackerl auf Bali bis zum Jahr 2018 zu verbieten.
Um dieses Ziel zu erreichen, war den Schwestern eines klar: Sie mussten Lärm machen. „Unsere ersten Versuche scheiterten. Also dachten wir uns: Wenn wir eine Million Unterschriften für unser Vorhaben sammeln, können sie uns nicht ignorieren. Wir vergaßen dabei, dass eine Million eine ziemlich große Zahl ist“, berichten die beiden Mädchen von ihren Startschwierigkeiten. Schwierigkeiten, aus denen sie aber so einige Dinge lernten. Es bedurfte nämlich nicht nur einer Million Unterschriften, um den Gouverneur zu einem Treffen zu bewegen, sondern auch eines Hungerstreiks. „Wir hielten unsere erste internationale Rede am INK-Talk in Indien. Unsere Eltern brachten uns zum ehemaligen Haus Gandhis, das heute ein Museum ist. Inspiriert von Gandhi und seinen friedvollen Protesten, beschlossen wir, in Hungerstreik zu treten. Und zwar so lange, bis der Gouverneur einwilligte, uns zu treffen.“ Gesagt, getan. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang streikten die Mädchen und dokumentierten alles auf ihren Social-Media-Kanälen. Der Hungerstreik sollte drei Tage dauern. Am dritten Tag holte die balinesische Polizei Melati und Isabel ab und brachte sie zum Gouverneur. Endlich saßen sie vor ihm und konnten ihm persönlich von Bye Bye Plastic Bags erzählen. „Er sagte, er sei sehr stolz auf seine indonesischen Mädchen und dass wir seine volle Unterstützung hätten, um unser Ziel zu erreichen.“ Der Gouverneur von Bali unterzeichnete im November 2014 eine Übereinkunft und ein Bündel von Maßnahmen, um Menschen auf Bali zum Verzichten auf Einwegplastik zu bewegen.
Seither ist viel passiert. Dem ersten Treffen zwischen Melati, Isabel und dem Gouverneur folgten viele weitere – produktive wie sinnlose. „Eine der größten Herausforderungen für uns war und ist, mit der Regierung in Bali zusammenzuarbeiten und politische Prozesse zu verstehen. Wir nennen das Ganze ‚Tanzen mit Politikern‘, weil es oft ein Schritt nach vorne und zwei Schritte zurück sind“, erzählen die Schwestern. Und seither konnten Melati, Isabel und ihr Team auch so einige Erfolge feiern. 2014 starteten sie das Projekt „Pilot Village“. Der Ort Desa Pererenan sollte der erste in Bali sein, der vollständig auf Plastiksackerl verzichtet. Gemeinsam mit der lokalen Regierung in Pererenan schaffte Bye Bye Plastic Bags mittels Vorträgen Bewusstsein bei der Bevölkerung und ersetzte in Supermärkten Plastiktaschen durch gespendete Baumwolltaschen. Der nächste Ort auf der indonesischen Insel sollte der Flughafen Ngurah Rai in Denpasar sein. Seit 2016 verzichtete die internationale Drehscheibe Balis auf Einwegplastik. In den folgenden Jahren wurde Bye Bye Plastic Bags zu einer weltweiten Jugendorganisation: Die Schwestern inspirierten junge Menschen auf der ganzen Welt. „Kinder können Großes bewirken“, sagen die Schwestern. „Die Jugend macht zwar nur 25 Prozent der Weltbevölkerung aus, aber wir sind 100 Prozent der Zukunft.“ Die beiden Schwestern sind auf internationalen Veranstaltungen, wie dem TED Talk, gern gesehene Rednerinnen.
Der größte Coup gelang Bye Bye Plastic Bags dann am 23. Juni 2019. An diesem Sonntag wurden auf der Insel der Götter offiziell Plastiktaschen, Styropor und Plastikstrohhalme verboten. Nach einer halbjährigen Testphase für Supermärkte, Shops, Restaurants und Cafés trat das Gesetz mit diesem Datum in Kraft. Damit erfüllt sich Melatis und Isabels großer Traum vom plastikfreien Bali. Die balinesische Regierung hat für den Pergub No. 97/2018, wie das Einwegplastikverbot offiziell in der Verfassung genannt wird, auch eine spezielle Kontrollgruppe eingerichtet. In den kommenden sechs Monaten liegt der Fokus auf Bildung und Sozialisation von Unternehmen sowie Gemeinden. Bali ist damit westlichen Mächten wie Europa oder den USA einen Riesenschritt voraus. Und hat nicht vor, diesen Vorsprung einzubüßen. Ein Lokalaugenschein zeigt, dass Supermärkte statt Plastik wiederverwendbare Stofftaschen anbieten sowie Obst und Gemüse in Bananenblättern verpacken – genau so, wie vor dem Plastikzeitalter. Eine erste Studie belegt, dass der „Plastic Ban“ bereits positive Effekte erzielt: Während im Juni 2018 über eine Million Plastiksackerl von Handelsunternehmen verwendet wurden, sind es im August 2019 nur noch 400.000. Hauptsächlich verantwortlich für diese Zahl ist der nach wie vor hohe Plastikverbrauch auf den lokalen balinesischen Märkten, denn das Verbot greift hier (noch) nicht. Mit Bewusstseinsbildung versucht die Regierung, die Situation zu verbessern. Das ist es auch, was sich Melati und Isabel mit Bye Bye Plastic Bags vorgenommen haben: weiterhin Bewusstsein schaffen – in Indonesien und weltweit. „Was auf Bali passiert, hat schon immer Aufmerksamkeit erregt. Bali ist wie das Fenster für die Augen der Welt“, sind sich die Schwestern sicher. Indonesien will dem Beispiel seiner berühmtesten Insel folgen und bis 2021 Einwegplastik im ganzen Land verbieten.
Bis dahin organisieren Melati und Isabel weiterhin fleißig Strandreinigungen. Denn das Plastik-Problem ist zwar kleiner, aber noch lange nicht gelöst. Melati und Isabel sind mit Bye Bye Plastic Bags noch lange nicht am Ziel: „Wir wollen mit Bali ein Vorbild für die Welt sein.“
Für mehr Infos gehen Sie auf http://www.byebyeplasticbags.org/