Bunte
Gemeinschaft
in alter Kaserne

Der Verein „Cambium – Leben in Gemeinschaft“ ist das größte Gemeinschaftsprojekt Österreichs. Rund 70 Menschen leben in der ehemaligen Kaserne in Fehring zusammen und erforschen, wie ein nachhaltiges Leben gelingen kann.

Text: Anita Brodtrager

Auch wenn zunächst die neu eingebauten Fenster hier Thema sind: Längst hat Baby Milena alle Blicke auf sich gezogen. „Es ist einfach schön, mit Kind da zu leben. Ich werde unglaublich unterstützt und sei es nur, dass ich in Ruhe zu Mittag essen kann, weil immer jemand da ist, der gern mal eine Runde mit ihr dreht“, erzählt Sarah Stoisser. Die 28-jährige Psychologie-Studentin ist Teil des Vereins „Cambium – Leben in Gemeinschaft“ und lebt, zusammen mit rund 50 Erwachsenen und 20 Kindern, in der ehemaligen Kaserne in Fehring. Zwar verfügt jede/r Bewohner/in bzw. jede Familie über eine eigene Wohneinheit. Toiletten, Bäder oder Küche aber nutzen alle gemeinschaftlich. Nahrungsmittel werden zusammen eingekauft. „Wir haben viele Berührungspunkte“, sagt Stoisser und freut sich, dass eine Mitbewohnerin nun Milena, die angefangen hat zu quengeln, spazieren trägt. Doch nicht nur praktische Annehmlichkeiten wie diese oder die Wohnsituation an sich schweißen die Vereinsmitglieder seit fast eineinhalb Jahren zusammen. Vielmehr ist es die gemeinsame Vision, die diesen Ort trägt. „Wir sind ein großes Nachhaltigkeitsprojekt und wollen erforschen, was ein zukunftsfähiges Leben ausmacht“, beschreibt Rafaela Walter-Bachmann, 32 Jahre alt, Ethnologin und Yoga-Lehrerin. Und obwohl es den Bewohnerinnen und Bewohnern auch um den ökologischen Aspekt geht – eine biologische Landwirtschaft etwa befindet sich in Aufbau –, steht ein anderer im Vordergrund. Jener der „sozialen Nachhaltigkeit“ nämlich, wie Walter-Bachmann sagt und dann schmunzelnd vorausschickt: „Das ist ein bisschen tricky.“

Wie können Beziehungen zwischen den Menschen gelingen? Was schafft Vertrauen? Können Gesellschaften, in denen niemand ausgebeutet wird, funktionieren? Wie trifft man Entscheidungen, hinter denen alle stehen können? Walter-Bachmann, Stoisser und auch Christian Loy, in dessen 40-Quadratmeter-Wohneinheit wir Platz genommen haben, formulieren Fragen, die sich für sie auf dem Weg zur sozialen Nachhaltigkeit stellen. Und erzählen von sogenannten soziokratischen Strukturen, die helfen sollen, die erforderlichen Schritte zu setzen. „Das bedeutet, dass wir auf Partizipation setzen und für alle Aufgaben Arbeitsgruppen bilden, von Putzdiensten bis hin zur Frage, wie wir neue Mitglieder aufnehmen“, erläutert Walter-Bachmann. Tatsächlich bringt sich jeder der Erwachsenen in einer Arbeitsgruppe ein. Insgesamt investiere man, auch allgemeine Haushaltstätigkeiten miteingerechnet, 15 bis 30 Stunden die Woche für den Verein.

„Man ist schon gut beschäftigt“, bemerkt Loy. Der 38-jährige Sozialökologe setzt sich vor allem für die Arbeitsgruppe Finanzierung ein und schätzt besonders das Plenum, das jeden Donnerstagabend stattfindet. „Dort werden Sachthemen klar kommuniziert und jede/r weiß, woran die anderen gerade arbeiten.“ Im Plenum geht es ebenfalls darum, Feedback einzuholen, bevor Entscheidungen, etwa über Veranstaltungen am Gelände, getroffen werden. Auf die Frage, wie man sich dies vorstellen könne, antwortet Walter-Bachmann: „Jede/r kann Einwände äußern, was aber nicht geht, ist einfach über andere drüberzufahren und dadurch den ganzen Prozess zu blockieren.“
So kommt auch die „persönliche Entwicklungsarbeit“, wie sie sagt, ins Spiel. Denn: „Meistens erklärt sich ein bestimmtes Verhalten, das nicht der Gruppe dienlich ist, aus einer negativen Erfahrung, die man in der Vergangenheit gemacht hat, und daran arbeiten wir. Schließlich können wir nur dann wirklich kooperieren und einander vertrauen, wenn keine Steine zwischen uns liegen.“

Jeden Sonntagabend treffen sich die Mitglieder zu sogenannten „Gemeinschaftszeiten“, die Settings variieren: Einmal sucht man sich fünf Leute aus, bei denen man sich bedankt. Ein anderes Mal spricht man über Themen, die eigentlich schwer fallen. „Man kann Abend kommt man zusammen und erzählt, wie es einem geht.“ Vier- bis fünfmal im Jahr gibt es einen intensiveren Prozess mit externer Begleitung, um mehr über zwischenmenschliche Kooperation zu lernen, um Konflikte gemeinsam zu lösen, um Ängste und Sehnsüchte anzusprechen. Ob jedes Vereinsmitglied bereit ist, so viel von sich preiszugeben?
„Man zeigt, was man kann und möchte, jedenfalls erlebe ich eine sehr große Bereitschaft, sich selbst zu reflektieren“, sagt Sarah Stoisser. Auch über den Austausch mit dem benachbarten Bauern oder dem Bürgermeister der Gemeinde Fehring freut sich die Studentin und Mama: „Wir werden unglaublich offen aufgenommen.“ Der Verein selbst lädt zu Infocafés und Workshops, beherbergt nachhaltig agierende Start-ups, ist Veranstaltungsraum für künstlerische Projekte. Das kann mitunter dazu führen, dass viele Gäste am Gelände unterwegs sind – etwas, an das sich so manche erst gewöhnen müssten, nicht aber Christian Loy; er erinnert sich an die Zeit, als ein Zirkus hier geprobt hat: „Das hab ich sehr angenehm gefunden, endlich das Gefühl von Anonymität! Sonst fällt es mir manchmal schwer, mich abzugrenzen, denn ich bin von Menschen umgeben, die ich urgern mag und mit denen ich mich über hunderttausend Themen unterhalten könnte.“

Als es schließlich klingelt, ruft Rafaela Walter-Bachmann: „Das ist die Kuhglocke! Das Mittagessen ist fertig!“ Einmal die Woche sollte jedes Gemeinschaftsmitglied am Herd stehen und in einer kleinen
Gruppe Essen – meistens vegan – für alle zubereiten. Eigentlich praktisch: Man muss nur den Tisch wechseln, von Loys Zimmer hinunter in den Speisesaal. Die Unterhaltung geht ohnehin weiter und auch Baby Milena ist wieder mit dabei.