Text: Tamara Ussner
Illustrationen: Lena Geiregger

Vom Aktivismus zur Politik. Und wieder zurück.

Tamara Ussner war von 2017 bis 2021 Gemeinderätin für die Grünen in Graz. Zwischen Machtkämpfen, Klimakrise und sexistischen Sprüchen versuchte sie die Hoffnung auf systemische Veränderung nicht zu verlieren. Ein Rückblick auf eine bewegte Zeit.

Angefangen hat alles 2015 mit dem Protest gegen das Freihandelsabkommen TTIP. Mehr durch Zufall als Absicht war ich plötzlich Teil einer motivierten Gruppe die hauptsächlich aus Studierenden bestand, und sich aktiv gegen das Freihandelsabkommen einsetzte. Die erfolgreiche Organisation der großen Demos war motivierend und ermächtigend, ich war Feuer und Flamme. Unerwartet schnell hat sich die Gruppe weiterentwickelt, andere Themen aufgegriffen, und zu unterschiedlichen Protesten mobilisiert. Meine Motivation war endlos.  Nach wenigen aber intensiven Jahren, in denen ich Teil der Anfänge von SCNCC (System Change not Climate Change) und des Graz Spendenkonvoi sein durfte, wurde ich vom Vorstand der Grazer Grünen gefragt ob ich nicht für sie kandidieren will.  Die plötzliche Möglichkeit meinen Protest in konkrete Maßnahmen umzusetzen, war verlockend. Trotz meiner starken Skepsis gegenüber Parteien, willigte ich der Anfrage nach einer Bedenkzeit ein.  Relativ unwissend und naiv gegenüber parteipolitischen oder parlamentarischen Strukturen, sollte sich herausstellen.

Begonnen hat meine Gemeinderatsperiode mitten im äußeren Konflikt rund um das Murkraftwerk, und mitten im inneren Konflikt der Partei mit ihrer Jugendorganisation. Plötzlich war ich Teil von internen Streiten, von denen ich nicht einmal völlig den Inhalt verstand.  Gleichzeitig gründete sich nach der Wahl eine Koalition aus FPÖVP, womit ich nicht gerechnet hatte. Mein naiver Optimismus – in der Politik wären faktenbasierte Argumente die Basis für Entscheidungen – war schnell verpufft.  Rasch lernte ich: Primär geht es um Machterhalt. Die Inhalte mancher Parteien passten sich dem aktuellen gesellschaftlichen Diskurs, wie eine Fahne im Wind, an.  Nach dem Sommer der Migration waren Hetze und Rassismus wieder modern, also für den Machterhalt der ÖVP war es notwendig mit der FPÖ zu koalieren. Für mich, als Person die gesehen hat wie Menschen schon damals an den Grenzen der EU misshandelt und in kalten Jahreszeiten völlig sich selbst überlassen wurden, völlig unreal.  War die ÖVP nicht irgendwann einmal christlich-sozial?

Außerdem musste ich anhand des Konfliktes um das Murkraftwerk lernen, dass Demokratie von FPÖVP nicht als permanenter gesellschaftlicher Diskurs wahrgenommen wurde. Es gab auf einigen Ebenen massiven Widerstand gegen die Naturzerstörung die mit dem Projekt einherging, aber das schien ihnen unwichtig zu sein. Der Naturschutzbeirat wurde einfach nach einer hitzigen Debatte nie wieder einberufen, die 10.000 Unterstützungserklärungen zur Volksbefragung hatten aufgrund eines bürokratischen Fehlers keinen Wert für die Regierung, und Demonstrationen wurden generell nur als störend empfunden, und sollten sowieso nur noch in verfassungswidrigen sog. „Demo-Zonen“ stattfinden. So ignorant hatte ich mir die Vertretung einer Stadt nicht vorgestellt. Legitimiert wurde das immer mit dem Zuwachs an Stimmen bei der vergangenen Wahl: Wir wurden gewählt, also machen wir die Spielregeln. Hände falten, Gosch’n halten bitteschön, wir sehen uns vor den nächsten Wahl wieder.

Demokratie besteht jedoch aus viel mehr, als einmal alle paar Jahre kurz einen Zettel anzumalen.  Die Dynamik, von der eine Demokratie eigentlich lebt – nämlich das permanente Spannungsfeld zwischen Parlamentarismus, Zivilgesellschaft, Aktivismus und zivilem Ungehorsam, war plötzlich nicht mehr vorhanden. Nicht nur nach außen, sondern auch innerhalb der parlamentarischen Strukturen wurde massiver Demokratieabbau betrieben. Strukturell sowie im Abstimmungsverhalten. Jegliche Vorschläge der Opposition wurden weggestimmt, egal ob es logische Argumente dagegen gab, oder nicht. Verhöhnung, Sexismus und machtgeile Überheblichkeit zeichneten meistens die Begründungen, sachliche Argumente waren selten. Oft wäre ich lieber wieder in meinen verhasstesten Uniseminaren gesessen als im Gemeinderat. Selbst in den langweiligsten Lehrveranstaltungen herrschte mehr Sachlichkeit, als ich bis zum Ende meiner Amtszeit von bestimmten Kolleg:innen in den Gemeinderatsreden erwarten durfte.

Aber ich hatte mich dafür entschieden und Verantwortung übernommen. Die Aktivistin war plötzlich Politikerin. Statt jetzt die Stadt umzukrempeln, wie ich es mir vorgestellt hatte, würde sich viel um Medienarbeit, Kontakte zu Steakholder:innen, Organisationen und Zielgruppen drehen, als darum konkrete und dringend notwendige Änderungen in der Stadt so schnell wie möglich zu bewegen. Ich war so ungeduldig. Die Rettung der Welt hatte ich mir anders vorgestellt.

Der Kontrast meiner Erwartungen zur Realität brachte viel Frustration und Ärger in mir hervor. Mein Ventil dafür wurden die live-ticker auf Facebook, in denen ich die wichtigsten und umstrittensten Themen jeder Sitzung versuchte aufs Wesentliche runterzubrechen, und meiner Facebook-Bubble zugänglich zu machen. Das war einerseits meine Art die Absurditäten, Untergriffigkeiten und die Unsachlichkeit zu verarbeiten, andererseits eine Weise um Aufmerksamkeit für Kommunalpolitik zu erzeugen. Und es hat funktioniert. Die Postings erzielten bald eine große Reichweite, und immer öfter sprachen mich Leute darauf an, von denen ich nicht einmal wusste, dass wir auf Facebook befreundet waren.

Wenige Personen waren bei den Gemeinderatssitzungen auf der Zuschauer:innenntribühne erlaubt. Die Protokolle wurden 6-8 Monate später in einem Umfang von mehreren hundert Seiten veröffentlicht. Kein Wunder, dass sich bisher wenige junge Menschen dafür interessierten, was im Gemeinderat passierte, die einzigen Informationen waren Zeitungsberichte, die sich auch auf einen Bruchteil der Sitzung konzentrieren mussten. Trotzdem werden dort so viele Entscheidungen getroffen, die immanente Auswirkungen auf unser tägliches Leben haben, ich wollte unbedingt viel mehr Menschen davon erzählen.

Zwei Jahre lang kämpften wir für eine live Übertragung der Sitzungen, aber FPÖVP hatten kein Interesse daran, dieses Theater der Öffentlichkeit preiszugeben. Vor allem junge Frauen wurden bei den Reden unterbrochen, angeschrien und teils so laut gestört, dass die über eine Anlage verstärkte Rede in den hinteren Reihen nicht mehr hörbar war. Weiters hatten sie die Sitzordnung verändert. Direkt vor dem Redner:innenpult saß nun die FPÖ, dessen Funktionär:innen sich für keine primitive Störaktion zu schade waren. Danach musste man entlang einer Reihe polemischer und zynischer ÖVP Funktionär:innen wieder zurück zum Platz gehen, die einem Sätze wie „Bist aber heute schon wieder a sehr frustrierte Alte, ge?“ zuflüsterten.

Auch der Umgang mit Anträgen der Opposition hatte ein Level erreicht, dass wir uns im Klub überlegen mussten ob wir ein uns wichtiges Thema der Stadt überhaupt als dringlichen Antrag stellen wollen, oder lieber medial dazu arbeiten. Weil es in den Gemeinderat zu tragen, würde wahrscheinlich bedeuten, dass es mit einem Minimum an Diskussion darüber weggestimmt wird, und damit gegessen ist. Gleichzeitig hatten wir durch das Proporzsystem einen Stadtratssitz, und das Umweltamt. Damit kann natürlich auch viel gestaltet werden, hängt jedoch von Budget und auch vom Umsetzungswillen der Regierungskoalition ab. Das Umweltamt hat einiges an großartiger Arbeit geleistet: es wurde beispielsweise auf Basis des 1,5-Grad-Ziels ein Treibhausgasbudget für die Stadt Graz errechnet. Außerdem wurde eine Klimawandelanpassungsstrategie erarbeitet, die eigentlich nur umgesetzt werden müsste. Das war aber alles nicht im Interesse der rechtskonservativ-rechtsextremen Regierungskoalition.

Anstatt Sachpolitik anhand der erdrückenden Fakten der Klimakrise umzusetzen, wurden Posten verschachert wie Chips im Casino, die Berichterstattung der Stadt wurde zu einer Werbekampagne für FPÖVP und gleichzeitig wurden wichtige soziale Strukturen – wie die Stadtzentren – bewusst zerstört. Der Autotunnel Josef-Huber Gasse wurde ins Zukunftsprogramm geschrieben, eine seit Jahren fertig geplante Straßenbahn über den Griesplatz abgesagt weil sie zu viel Autoverkehr einschränken würde, und jeder minimale Verbesserungsversuch für Radfahrende verhindert.
Wenn selten einmal ein dringlicher Antrag bezüglich Stadtplanung oder Verkehr angenommen wurde, wurde er sofort der Stadtbaudirektion zugewiesen die dem Bürgermeister unterlag. Und dann ist nie wieder was damit passiert.

Speziell wenn Parteien schon so lange an der Macht sind wie die ÖVP es in Graz war, gibt es einige Interessensgruppen die Einfluss nehmen. Mir wurde schnell klar, dass bei meinem Hauptschwerpunkt Verkehr und Mobilität – die Wirtschaftskammer und deren Einflussgeber eine zentrale Steuerungsmacht besitzen. Da die Wirtschaftskammer Arbeitsplätze als einen der wichtigsten Faktoren sieht, sind die Interessen von Magna Steyr – ein Automobilkonzern der in Graz 13.500 Personen beschäftigt – natürlich sehr relevant. Und der hat als KfZ-Hersteller sicherlich kein überbordendes Interesse an einer Verkehrswende. In diesem Sinne wird vor jeder Verkehrsberuhigung zuverlässig von der WKO der Untergang der ansässigen Unternehmen prognostiziert, Parkplätze als essenziell deklariert um die Innenstadtwirtschaft am Leben zu erhalten, und alle möglichen Autobahnen rund um Graz sollten ausgebaut werden um dem stetig wachsenden und wirtschaftsfördernden KfZ-Verkehr stand zu halten. Bevor man bereit wäre dem Autoverkehr Raum zu nehmen, baut man lieber eine U-Bahn. Autohauptstadt Graz. Waren wir nicht einmal eine Fahrradhauptstadt? Gleichzeitig sah ich die Klimakrise eskalieren, und die eigene Zukunft zusammenbrechen.

Nach gefühlten 500 Wiederholungen in Debatten, was für eine essenzielle Lösung Radverkehr für unser Verkehrsproblem darstellt, änderte sich irgendwann etwas. Die Metamorphose der ÖVP zur Ökopartei korrelierte zeitlich auch mit der Entstehung der FFF-Bewegung, was wenig überraschte. Eine aus Opportunismus bestehende ÖVP muss sich natürlich dem modernen politischen Thema anpassen. Also waren plötzlich der Veggie-Day, Radfahren und Bäume modern. Aber immer mit Maß und Ziel, man will ja die Autoindustrie nicht irritieren. Gleichzeitig blieben sie jedoch ihrer türkisen Linie treu: Der Bericht des Menschenrechtsbeirats zu Rassismus und Diskriminierung wurde 1,5 Jahre lang zurückgehalten, und erst mit Adaptierungen der Regierungsparteien veröffentlicht. Die wichtige Aufarbeitung der aus dem Nationalsozialismus belasteten Straßennamen wurde aktiv verhindert, und in manchen Debatten sogar die schriftstellerischen Künste von Nazi-Dichtern, wie Hans Klöpfer, in höchsten Tönen von FPÖ Klubobmann Sippel gelobt. Die ÖVP tolerierte einen Gemeinderat der offensichtliche Verbindungen zur rechtsextremen Szene hatte, und einen Vizebürgermeister der sich offen mit der neofaschistischen Ideologie der Identitären identifizieren konnte. Jetzt halt mit Öko-Anstrich, der mehr an Greenwashing erinnerte als an echten Willen etwas zu ändern.

Anstatt, wie erhofft und erwartet, maßgebliche systemische Änderungen mitzugestalten, musste ich mich von Rechtsextremen und deren Steigbügelhaltern sexistisch verhöhnen lassen. Trotzdem lässt Ex-Bürgermeister Nagl keine Gelegenheit aus um eine Lobeshymne auf sich, seine Partei und die Koalition zu geben, wie großartig die Menschenrechtsstadt Graz nicht sei.
Diese Heuchelei war für mich schwer auszuhalten. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass sich nach den ersten Jahren etwas veränderte. Einzelne ÖVP Mandatar:innen wurden zugänglicher – ich wahrscheinlich auch. Der Diskurs veränderte sich, immer öfter gab es keine Debatte mehr zu übel rassistischen Anträgen der FPÖ, und man konnte sich auch mit der ÖVP einigen, den übelsten Anträgen auch keine Aufmerksamkeit mehr durch eine Debatte zu schenken. Eine knappe Woche nach meinem dringlichen Antrag zu einer Radoffensive (der natürlich abgelehnt wurde), hat die Stadt gemeinsam mit dem Land die Radoffensive ausgerufen. Na endlich. Es gab plötzlich eine Debatte darüber wie man den öffentlichen Raum umgestalten muss, wenn es zu keinem KfZ-Verkehrskollaps kommen soll. Das vermittelte den Eindruck, dass ich doch etwas im Diskurs und dadurch auch irgendwann real verändern konnte.

Dann kam Corona, und die ÖVP distanzierte sich Stück für Stück von einer FPÖ, die nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in der Stadt die Gefahren der Pandemie auf eine jenseitige Debatte herabwürdigte. Das gipfelte darin, dass die FPÖ verweigerte sich vor den Sitzungen testen zu lassen, und auch oft die Maskenpflicht nicht eingehalten hatte. Trotz der Anwesenheit zahlreicher älterer Menschen und auch anderer Risikogruppen im Saal. Durch den physischen Abstand in der Messe hatte sich jedoch das Stören der Reden stark verbessert, außerdem gab es plötzlich eine live-Übertragung, da kein Publikum mehr möglich war. Die rechtlichen Gründe wieso es bisher keine Übertragung gab, hatten sich plötzlich erübrigt. Die Menschen konnten sich selbst davon überzeugen wie FPÖVP in der Stadt arbeiteten, wie sie versuchten ihre Politik zu argumentieren, aber auch mit welche Ignoranz man den Lebensrealitäten der Menschen begegnete. Derzeit bin ich sehr optimistisch, dass es in Graz endlich positive Veränderungen geben wird. Und zwar keine oberflächliche, die hauptsächlich Werbekampagnen dient, sondern einen sozial-ökologischen Wandel. Stück für Stück werden wir jedenfalls mit der neuen Stadtregierung in diese Richtung gehen. Außerdem sehe ich es als meine Pflicht diese Veränderungen von der neuen Koalition einzufordern, und diese Rolle steht mir eh viel besser als die Politikerin.

Viele Leute haben mich nach den Wahlen gefragt ob es mir nicht leid täte, jetzt nicht mehr angetreten zu sein. Und ich muss ehrlich zugeben – entgegen meiner eigenen Erwartungen – habe ich kein einziges Mal Wehmut verspürt. Ich empfand große Freude und auch bisschen Stolz, Teil davon gewesen zu sein, dass die ÖVP endlich nicht mehr diese tolle Stadt regiert.  Und was mich angeht, ich fühle mich in der Nähe von stillstehenden Großbaustellen oder blockierten Aufmärschen von Rechtsextremen wohler, als sonst irgendwo im breiten politischen Spektrum. In diesem Sinne: See You On The Streets.