Fotos: David Ertl

„Wir haben mehr gemeinsam, als uns trennt“

Was in Südamerika begann und durch die #metoo-Bewegung seine Fortsetzung fand, schwappt nun auch nach Graz über. Der feministische Streik ist in der zweitgrößten Stadt Österreichs angekommen. Julia Reiter und Peter K. Wagner haben drei Aktivistinnen der Bewegung F*Streik getroffen. Und erfahren, warum sich die neue Welle des Feminismus eigentlich für Menschen aller Geschlechter einsetzt.

Der „F*Streik Graz“ formiert sich gerade. Am Weltfrauentag am 8. März wird eine erste Aktion sichtbar werden. Ein Streik findet am 12. Juni statt. Warum?
Hannah: Es wäre sich zeitmäßig für den Weltfrauentag schwer ausgegangen. Auch finden wir den Zugang gut, dass auch an einem zweiten Termin im Jahr Feministisches passiert. Der 12. Juni ist der feministische Raubtag in Österreich. Er nimmt Bezug auf die Einkommensunterschiede zwischen Mann und Frau, aber auch darauf, dass Frauen oft nur in Teilzeit arbeiten, Frauen weniger Rente bekommen usw. Daher ist der Tag viel früher als der vergleichsweise bekanntere Equal Pay Day, der internationale Aktionstag für die ungleiche Bezahlung zwischen Mann und Frau. (Anm.: Der Equal Pay Day 2019 war in Österreich der 21. Oktober. Er fand 72 Tage vor Ende des Jahres statt, weil Frauen im Vergleich zu Männern 2019 72 Tage „gratis“ arbeiteten.)

Jetzt, wo wir hier sitzen, wird in den USA gerade Harvey Weinstein der Prozess gemacht. Jenem Hollywood-Produzenten, der beschuldigt wird, unzählige Frauen sexuell missbraucht zu haben und dessen Taten die sogenannte #metoo-Bewegung auslösten. Was haltet ihr von dieser Bewegung?
Eva: Ich habe es sehr positiv empfunden, weil es dem Thema viel Aufmerksamkeit gebracht hat. Gerade Dinge wie Grabschereien haben dadurch ein ganz anderes Bild bekommen. Die ältere Generation hat sich mit der Debatte damals sehr schwergetan.

Was sagt das über unsere Gesellschaft?
Eva: Genau an diesen Reaktionen sieht man, dass es in diesen Bereichen noch Probleme gibt. Sie wurden durch diesen Widerstand erst sichtbar.
Hannah: Ich hab in Indien gewohnt damals und wenig davon mitbekommen, eher durch Freund_innen. Dort war der Tenor auch, dass die Verwendung des metoo- Hashtags sehr unterschiedlich wahrgenommen wurde. Es wurde oft nicht mehr positiv gesehen, sondern Menschen, die sexuelle Belästigung oder Übergriffe geoutet haben, wurden dafür eher kritisiert. Dadurch waren manche Opfer noch verstörter als vorher.

Wie reagieren Leute in eurem Umfeld, wenn ihr euch als Feministinnen outet? Und vor allem: Wie reagieren sie auf das Wort „Feministin“, das in der Gesellschaft eine sehr negative Konnotation hat?
Eva: Es stimmt, dass der Begriff sehr oft für Unmut sorgt. Ich habe in einem Blog einmal einen Erklärungsversuch gelesen, der im Englischen besser verbreitet ist und „straw feminist“ lautet. Dabei geht es um Strohfrauen im Sinne der Strohmänner. Dort wurde erklärt, dass in Serien und Büchern Feministinnen lange Zeit sehr negativ dargestellt wurden. Dadurch ist der Begriff oft mit nervigen, hässlichen und ungeschminkten Frauen verbunden, die über alles jammern. Damit wurde bewusst versucht, ein Stereotyp immer wieder zu reproduzieren.
Sara: Auch wird Feminismus oft damit verbunden, einzuschränken oder Spaß zu nehmen. Denn in unserer Gesellschaft ist frauenfeindliche Sprache in den Alltagsdiskurs eingewoben. Sie ist oft mit Lust und Witzen verbunden und wird dann als lustig oder nicht ganz ernst gemeint abgetan.
Hannah: Das Bild, das über Serien oder Filme reproduziert wird, ist jenes der zweiten Feminismuswelle rund um Alice Schwarzer und Co., die oft auch männerfeindlich waren und sehr krasse Aussagen tätigten. Dieser Feminismus unterscheidet sich in bestimmten Aspekten stark von dem Feminismus für den wir drei stehen.
Eva: Ich glaube, dass es viele Menschen gibt, die mit dem Wort Feminismus wenig anfangen können, mit den Inhalten aber d’accord gehen würden. Etwa damit, dass alle Menschen gleichberechtigt sind, dass alle Kinder gleiche Chancen haben und Buben auch weinen dürfen usw. Ich glaube, mehr Menschen stehen dem Label negativ
gegenüber als den Inhalten. Was definiert euren Feminismus?
Hannah: Wir sind Kinder der dritten Welle des Feminismus. Queerfeminismus ist ein Teil der Bewegung. Es geht nicht um die Frauenbiologie, sondern um Gruppen und Machtverhältnisse. Die aktuelle Welle ist inklusiver und intersektionaler, beschäftigt sich also mit der Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen.
Sara: Der Feminismus hat mit einem Vorurteil zu kämpfen: Es heißt, er sei stets gegen etwas. Der feministische Streik setzt auf Solidarität und Schwesternschaft. Das ist meiner Meinung nach eine sehr sinnvolle Vorgehensweise, um gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse zu durchbrechen. Denn in der Gesellschaft, in der wir leben, passiert es eben so, dass Menschen sehr individualisiert leben.

Wo sind die ungleichen Machtverhältnisse sichtbar? Vor allem auch abseits von ungleichen Gehältern, die gesamtgesellschaftlich bereits präsenter sind.
Hannah: In der Arbeit sitze ich in einem Team als einzige Frau mit vier älteren Männern zusammen. Eine Gesprächsstruktur, in der schnell klar wird, wer etwas zu sagen hat. In solchen Situationen nimmt man stark wahr, wie fest verankert die Ungleichheit ist. Auch in Umgebungen, in denen Menschen sich dessen bewusst sind, reden Männer öfter als Frauen. Also auch das sogenannte Mansplaining, jene Situation, in der Männer sich herablassend gegenüber – meist weiblichen – Personen äußern, weil sie fälschlicherweise davon ausgehen, besser über eine Materie Bescheid zu wissen.
Hannah: Ja, diese Dinge sind durch unsere Sozialisierung so stark in uns verankert, dass sie ganz alltäglich sind.
Sara: Auf parlamentarischer Ebene ist es auch sichtbar. Der Wiedereintritt am Arbeitsmarkt von Frauen wird gefördert, aber gleichzeitig passiert es nicht in diesem Ausmaß, in dem es verschleiert versprochen wurde. Der Großteil der Frauen ist in Teilzeitbeschäftigung, hat trotzdem die Doppelbelastung zuhause durch die Kinderbetreuung oder – wenn sie die Doppelbelastung nicht aushalten und genug Geld haben – sie stellen eine migrantische Person ein und die ist wiederum weiblich.
Hannah: Das hat natürlich unmittelbare Auswirkungen auf die Pension. Frauen sind oft in Teilzeit, wenn sie Kinder bekommen, und da wird nichts dagegen gemacht.

Fängt die Ungleichheit noch früher an? Sollte es selbstverständlich sein, dass
die Kinderbetreuungsaufteilung 50:50 ist?
Eva: Man könnte zunächst die Frage stellen, warum Frauen aus dem Arbeitsmarkt herausgefallen sind. Es ist ja nicht in Stein gemeißelt, wer in Karenz geht.
Sara: Es wird nie die Frage nach dem strukturellen Problem gestellt, nach der Ordnung unserer Gesellschaft.

Warum sind Frauen so sehr in den privaten Bereich verwiesen und Männer in den öffentlichen? Warum funktioniert es nicht, dass sich die Grenze auflöst? Und warum werden Frauen schließlich doch wieder ins Private gedrängt? Kennt ihr positive Beispiele in der Welt, wo es anders läuft?
Hannah: Ich glaube, es müssen nicht immer Gegensätze sein. Die freie Wahl würde schon genügen. In Rojava (Anm.: mehrheitlich von Kurden bewohnte autonome Region in Syrien) ist alles paritätisch aufgebaut, eine Gleichverteilung von Männern und Frauen in Strukturen wie politischen Ämtern zum Beispiel. Das System ist auch noch nicht perfekt, weil es binär aufgebaut ist, aber es ist ein System, das auf dem richtigen Weg ist. Man darf einfach nicht vergessen, dass wir schon seit hunderten oder tausenden von Jahren in diesen Strukturen leben und sie nicht von heute auf morgen verändern können. Es ist ein Prozess. So wie der F*Streik auch ein Prozess ist.

Wie viel Verständnis habt ihr für konservativere Männer, die ein Leben lang nichts anderes gekannt haben?
Eva: Ich finde es sehr wichtig, zu überlegen, warum konservativere Männer denken, wie sie denken. Es ist wichtig, sie nicht zu stereotypisieren. Das ist zwar lustig und manchmal für die eigene Psychohygiene nicht unwichtig, aber damit macht man es sich zu leicht. Dadurch verhärten sich die Fronten nur noch weiter. Gerade, wenn man andere versteht, kann man als feministischer Streik auch Aktionen durchführen, die nicht sofort zu einem Shitstorm führen.
Sara: Auch wenn weiße Männer in einer privilegierten Situation sind, sind sie ebenso von hegemonialer Männlichkeit betroffen. Die, die sich ganz gut fühlen in dieser Umgebung, sind ganz wenige. Wenn man in Schulklassen schaut, sieht man die Fratzen, die den Ton angeben, aber auch Burschen, die gemobbt werden, weil sie nicht einer bestimmten Männlichkeit entsprechen. Auch dort gibt es eine Betroffenheit.
Hannah: Es geht nicht darum, dass es nur Frauen besser gehen soll, sondern dass die ganze Gesellschaft vom Patriarchat befreit wird.

Inwiefern sind Frauen selbst schuld an der Situation, in der sie sich befinden? Sinngemäß: Solange sich Frauen Stöckelschuhe anziehen oder schminken und auf ihr
Äußeres reduzieren lassen, wird sich nichts ändern.
Eva: Ich finde es immer schwer, Einzelpersonen für gesellschaftliche Probleme heranzuziehen. Das betrifft nicht nur den Feminismus, sondern auch Bewegungen wie Fridays For Future. Alleine als Individuum habe ich nicht viel Spielraum. Wenn ich unter Schönheitsnormen leide, ist es nicht mein Verschulden und nicht meine Verantwortung, daraus rauszukommen, sondern eine gesellschaftliche Fragestellung.
Sara: Ich halte aber auch nichts davon, dass die Lösung ist, Weiblichkeit abzulegen. In Weiblichkeit stecken sehr viele Eigenschaften, die wichtig sind für unser Zusammenleben.
Ich kenne auch viele Männer, die sich öfter gerne mehr rausputzen würden,
sich aber nicht trauen.

Gibt es für euch die Begriffe Weiblichkeit und Männlichkeit überhaupt?
Hannah: Die konstruierte auf jeden Fall.
Eva: Aktuell gibt es verschiedene Formen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Es steht auch im Pass. So banal es klingt, ist es gesetzlich verankert.
Sara: Es gibt Symbole und Stereotype, aber sternförmig ganz viel dazwischen. In einem Buch habe ich einmal gelesen, dass der Unterschied innerhalb der Geschlechter größer ist als der zwischen den Geschlechtern.
Eva: Wir haben mehr gemeinsam, als uns trennt.

Unter dem Namen „F*Streik – feministischer und Frauen*- Streik“ formierte sich seit Anfang Oktober eine Gruppe von Menschen, die sich für feministische Themen einsetzt. Der Stern (*) im Namen steht für den inkludierenden Charakter der Bewegung.
Infos: www.facebook.com/fstreikgraz

H A N N A H
hat schon in Nürnberg
Erfahrungen in
F*Streik-Gruppen
gesammelt

S A R A
beschäftigt sich auf
wissenschaftlicher
Ebene mit Feminismus

E V A
ist über Bekannte zum
F*Streik gestoßen und
arbeitet als
Psychologin