Arbeiten unter
Herzensmenschen

Diesmal: Stefan Netkov Mutafciski
Aufgezeichnet von Anna Maria Steiner, Übersetzung: Tina Friedreich
Foto: Arno Friebes
Megaphon 4/2019

Bulgarisch, Spanisch, Romanes und Deutsch. Diese Sprachen spreche ich, und wenn ich träume, dann auf Romanes. Um zu arbeiten, war ich schon in Spanien, Italien und in Frankreich – und jetzt bin ich in Österreich und kann sagen: Österreich ist mein Zuhause. Hier fühle ich mich mehr daheim als in Bulgarien, wo ich geboren bin. Natürlich denke ich oft darüber nach, wie es wäre, in Bulgarien zu arbeiten, aber das Leben dort ist nicht leicht für mich.
Mit der bulgarischen Politik bin ich nicht immer einverstanden – etwa dann, wenn Roma-Siedlungen einfach abgerissen werden. In Bulgarien Arbeit zu finden, ist für mich ebenfalls nicht einfach. Entweder muss man Leute mit guten Beziehungen dort kennen – jemanden, der dir versichern kann, dass du auch regelmäßig Lohn bekommst. Oder du kennst niemanden, dann musst du jeden Tag fürchten, ausgebeutet zu werden und kein Geld für deine Arbeit zu bekommen. Dabei ist Arbeit doch alles im Leben – und umgekehrt gibt es kein Leben ohne Arbeit. Mit Arbeit kann ich meine Familie ernähren, und außerdem: Wer Arbeit hat, der fühlt sich gut! Wer arbeitet, steht schon ganz anders auf in aller Früh.
Ich selbst bin jeden Tag schon um sechs Uhr dreißig auf den Beinen und fahre
sieben Kilometer mit dem Fahrrad nach St. Peter. Dort verkaufe ich vor einem Supermarkt das Megaphon. Wie lange ich arbeite, hängt vom Wochentag ab. Am meisten los ist samstags. Viele Menschen warten schon am Monatsanfang auf das neue Megaphon, und es gibt Kundinnen und Kunden, die sogar mehrere Ausgaben im
Monat kaufen.
Über meine Arbeit als Megaphon-Verkäufer kann ich nur Gutes sagen. Wenn man als Fremder hierher nach Österreich kommt, kein Deutsch spricht und deshalb nur schwer Arbeit findet, dann ist das Megaphon-Verkaufen das perfekte Sprungbrett, um Menschen kennenzulernen und um Geld zu verdienen. Meine Arbeit stärkt mich und es macht mir einfach Freude, Verkäufer hier in Graz zu sein. Auch meine Frau verkauft das Megaphon. Unsere beiden Kinder leben in Bulgarien, mein Sohn wird heuer die Schule abschließen und will danach eine technische Ausbildung machen. Mit dieser schönen Arbeit, bei der wir immer unter Leuten sind, schaffen meine Frau und ich es, die ganze Familie zu ernähren. Unsere Kinder sehen wir leider viel zu selten. Wenn die Sehnsucht nach ihnen ganz groß wird, spare ich noch fester als gewöhnlich und fahre mit dem Bus nach Sofia. Unsere Verwandten treffen wir im Frühling, beim alljährlichen „Djurdjevdan“. Das ist ein Fest anlässlich des „Sankt-Georgs-Tags“ und dauert vom 5. bis zum 8. Mai.Ob ich heuer feiern werde, weiß ich nicht. Mit meiner Frau fahre ich zwar im Mai nach Bulgarien, aber aus einem anderen Grund: Es kann sein, dass sie dort operiert wird, wir werden sehen …
Mit meinem Leben bin ich sehr zufrieden. Glück bedeutet für mich vor allem die Gesundheit. Und so bin ich glücklich, wenn ich gesund bin. Was mich noch glücklicher machen würde, ist, wenn meine Frau wieder ganz gesund werden würde. Ich selbst versuche, gesund zu leben: Kein Kaffee, keine Zigaretten, nichts Süßes oder Alkohol – außer vielleicht zwei, drei Bier im Monat. Aber auch darauf könnte ich verzichten – etwa in der Fastenzeit. Träume habe ich viele, aber was ich mir für die Zukunft am meisten wünsche, ist, dass ich immer eine Arbeit habe, von der ich leben kann – so wie jetzt durch die Arbeit beim Megaphon. Ich wünsche mir, dass
ich auch in Zukunft arbeiten kann, mein Geld verdiene und nie in die Situation komme, dass ich betteln muss, um zu überleben.
Was ich an Österreich besonders mag? Die Leute hier sind liebevoll. Bei vielen spürt man die soziale Ader. Und weil ich schon fast acht Jahre hier bin, kann ich diesen Vergleich auch machen und mit Gewissheit sagen: Die Leute hier sind Herzensmenschen.