Die Richtung
beibehalten
Diesesmal: Osadarion Osagie
Aufgezeichnet von Anna Maria Steiner
Foto: Thomas Raggam
Megaphon 2/2019
Wow, das also ist Österreich …“ Das waren meine ersten Gedanken, als ich hierhergekommen bin. Ich heiße Osadarion Osagie, was so viel bedeutet wie „Ich wurde in diese Welt geschickt.“
Und jetzt bin ich tatsächlich hier, in Österreich, und erlebe meinen allerersten Winter, klirrend kalt. Das Wetter in meiner Heimatstadt Benin-Stadt hingegen ist mild – nicht zu kalt und nicht zu warm.
Oft kommen auch Österreicherinnen und Österreicher nach Nigeria, um Urlaub dort zu machen. In Graz bin ich erst seit vergangenem Jahr. Was ich an Österreich besonders mag: die Ordnung und Disziplin in diesem Land. Für einige mag das vielleicht eigenartig klingen, aber ich bin felsenfest der Meinung: Ordnung ist wichtig. Sie erst gibt den Rahmen vor für alles andere. In Österreich gehen die Dinge geordnet vor sich. Du musst keine Angst haben, dass dir Unrecht widerfährt, hier werden die Menschenrechte eingehalten, und du wirst respektiert als Mensch.
Als Megaphon-Verkäufer arbeite ich seit vorigem April. Meist bin ich dabei in Raaba anzutreffen. Das Wichtigste an einem ganz normalen Arbeitstag ist für mich Freundlichkeit – ich bemühe mich, stets freundlich zu den Menschen zu sein. Die Reaktionen auf mich als Verkäufer sind unterschiedlich, aber viele, die vorübergehen, sind gut und freundlich und geben mir das Gefühl, akzeptiert
zu sein. Nicht alle, denen ich begegne, kaufen eine Zeitschrift bei mir, aber darum alleine geht es nicht. Wichtig sind Beziehungen im Leben und die Menschen, die man trifft. „Wie geht es Ihnen?“, begrüße ich jeden, der vorübergeht „Wenn nicht heute, dann vielleicht im nächsten Monat“, antworte ich, wenn jemand keine Zeitung kauft. Selbst wenn jemand nicht freundlich zur mir ist, bin ich höflich.
Lächeln, grüßen, freundlich sein: Das ist Teil meiner Arbeit und gehört zu meinem Job. So wie die Megaphon-Karte, die ich immer bei mir trage. Sie bedeutet viel für mich. Es vergeht kein Tag, an dem ich sie nicht bei mir habe. Morgens stehe ich auf, dusche mich, ziehe mich an und hänge sie mir gleich um. Mein Ausweis gibt mir das Gefühl, wie alle anderen Menschen zu sein, denen ich tagtäglich begegne, er gibt mir das Gefühl, dazuzugehören.
Die Megaphon-Karte ist ein wichtiger Ausweis für mich, sie ist Teil meiner Identität. Sie bedeutet, dass ich arbeite und dass mein Tag strukturiert ist. Wenn ich morgens aufwache, muss ich nicht erst überlegen, wo und wann ich Geld verdienen kann, wie ich zu einer Arbeit komme – diese Karte bedeutet, dass ich die Zeitung verkaufen darf, dass mein Tag Struktur hat. Und das hält mich davon ab, auf schlimme Gedanken zu kommen oder auf dumme Ideen.
Arbeit gibt dir eine Richtung und das Gefühl, gebraucht zu werden. Ich liebe meine Arbeit als Megaphon-Verkäufer. Wer immer diese Straßenzeitschrift ins Leben gerufen hat: Bei ihm oder ihr möchte ich mich aufrichtig bedanken. Das Megaphon verbindet Menschen miteinander. Das ist das Wichtigste im Leben, und überhaupt: Das Leben, das ist immer gut, und ich danke Gott dafür. Ich kann nicht behaupten, dass das Leben schlecht ist, nur weil ich kein oder nur sehr wenig Geld habe. Je mehr du dir einredest, dass alles schwer ist, umso mehr glaubst du das im Endeffekt auch. Nein, das Leben ist immer gut. Solange ich einschlafen und aufwachen kann in einer Stadt wie Graz, so lange ist das Leben gut.