Interview: Brigitta Soraperra
Illustrationen: Kristina Kurre

«Gemeinsam ist es die beste Lösung»

Im Dezember sprach Gerhard Wagner auf Einladung des Amts für Frauen und Gleichstellung in der Vorarlberger Landesregierung darüber, was der Feminismus den Männern bringt. Im Interview führt der Obmann des Vereins HeForShe Vienna noch deutlicher aus, warum das Bemühen um Gleichstellung auch eine Männersache sein sollte.

Dass Frauen Männer für ihre Ziele gewinnen wollen, um Gleichberechtigung zu erreichen, versteht sich naturgemäß von selbst. Aber was haben Männer davon, wenn sie sich für Feminismus und Gleichstellung engagieren?

Ich bin zutiefst überzeugt, dass das Thema Gleichstellung enorm viele Chancen auch für uns Männer bietet. Wir haben es bisher schlicht verabsäumt, diesbezüglich mit den Frauen mitzuziehen. Frauen haben, in dem sie sich ihre Rechte erkämpften, auch die Bandbreite an Bildungswegen, an Jobmöglichkeiten und an vorhandenen Rollenbildern für sich erweitert. Diese ausgeweiteten Möglichkeiten sind aber auch für uns Männer attraktiv. Es geht darum, die gesellschaftlichen Vorstellungen von dem, was es heisst, ein Mann zu sein, aufzubrechen und zu erkennen, dass es ganz unterschiedliche Formen von Männlichkeit gibt. Das befreit uns von starren Erwartungshaltungen und Rollenzuschreibungen, mit denen oft auch schädliche Auswirkungen für uns Männer verbunden sind.

Die da wären?

Sich immer wieder selbst behaupten zu müssen, sich beweisen zu müssen, dass man ein echter Mann ist, stark, durchsetzungsfähig, mutig, risikofreudig, erfolgreich usw. das ist für viele Männer sehr kräftezehrend. Und es wirkt sich nachweislich auf die psychische, die physische und mentale Gesundheit aus. Das althergebrachte Bild von Männlichkeit hat einen enorm hohen Preis. Männer sind beispielsweise höheren Risiken ausgesetzt, an einem Herzinfarkt oder an Krebs zu sterben und bei den Suiziden sind sie den Frauen haushoch überlegen. Männer werden oft auch zu ganz spezifischen Verhaltensweisen erzogen und sind dadurch weniger in der Lage, mit Gefühlen umzugehen oder darüber zu sprechen, was sie schmerzt oder ihnen nicht passt. Zuweilen kommt es vor, dass sie dann über Gewalt kommunizieren – von verbaler Gewalt bis hin zu körperlich übergriffigen Gewalthandlungen – um den Status der Männlichkeit nicht zu riskieren. Uns von all dem zu befreien bedeutet viel mehr an Freiheit und Spielraum für uns Männer.

Glauben Sie wirklich, dass Männer unter diesem Bild leiden? Es gibt sicher auch viele, für die diese Eigenschaften erstrebenswert sind, denn sie sind ja in unserer Gesellschaft nach wie vor positiv besetzt.

Es mag sein, dass es solche Männer gibt, genauso wie es auch Frauen gibt, die sich in traditionellen Rollenbilden und Beziehungsmodellen wohl fühlen, und für die es stimmt, dass sie beispielsweise zuhause sind und der Mann für den Lebensunterhalt sorgt. Oder dass dies für sie zumindest in gewissen Lebensabschnitten passend ist. Für mich entscheidend ist aber, dass dieser Raum geöffnet wird, dass nicht alle nur dieses eine Modell leben müssen, weil es von uns erwartet wird oder weil es uns mit den vorgegebenen Rahmenbedingungen aufgezwungen wird. Ich finde es wichtig, dass es auch für Männer möglich ist, früher von der Arbeit nachhause zu gehen, um ihre Kinder abzuholen, oder in Karenz zu gehen, weil sie bei einer Lebensphase dabei sein möchten. Oder ihre Arbeitszeit zu reduzieren, weil sie gerne abends einen Balletttanzkurs machen oder in einen Malkurs gehen möchten. Es geht darum, stereotype Rollenbilder und Zuschreibungen aufzulösen und zu zeigen, dass das alles mit dem Mannsein vereinbart werden kann.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang auch von hegemonialer Männlichkeit. Was genau meinen Sie damit?

Hegemoniale Männlichkeit ist in der Männlichkeitstheorie jene Form von Männlichkeit, die das vorherrschende männliche Ideal in unserer Gesellschaft widerspiegelt, also in der Hierarchie ganz oben steht. Also eine Norm des Mannseins, die stark, rational, mächtig und finanzstark ist, die Einfluss hat und gut vernetzt ist, um diese Dominanz auch ausüben zu können. Hegemoniale Männer kommen in bestimmte Positionen und bleiben auch dort, weil sie davon profitieren, dass andere so sein wollen wie sie und sie deshalb durch ein komplizenhaftes Verhalten stützen. Diese Männlichkeitsform baut sehr stark auf Unterdrückung, Abwertung und einer Ausgrenzungslogik auf, die durchaus auch andere Männer, aber vor allem Frauen und Minderheiten betrifft und diese in untergeordnete Positionen zwingt.

Womit wir wieder beim Feminismus, dem Kampf um Gleichstellung sind. Wie können sich Männer denn ganz konkret für den Feminismus engagieren?

Das geht auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Aus meiner Sicht entscheidend ist, zuallererst bei sich selbst zu beginnen. Sich also damit auseinandersetzen, wie bin ich aufgewachsen, mit welchen Erwartungshaltungen wurde ich konfrontiert, in meiner Familie, seitens der Medien, auch durch die Spielzeuge, mit denen ich gespielt habe oder die Fernsehserien, die ich geschaut habe. Entspricht das dem, wie ich mich selber sehe und was mich glücklich macht? Also sich selbst hinterfragen und den Austausch mit dem eigenen Umfeld, der Partnerin, dem Partner, der eigenen Familie zu suchen. Die Beziehung anschauen, den gemeinsamen Haushalt, die Aufteilung der Tätigkeiten. Stichworte Care-Arbeit, Kinderbetreuung, Haushaltsorganisation etc. Hier auch überprüfen, wie die Gleichstellung besser gelebt werden kann. Das ist ein ganz wesentlicher Schritt, um nachhaltig Veränderung zu schaffen. Und wenn man dann im weiteren Umfeld, im Freundeskreis die Möglichkeit hat, sich für die Themen stark zu machen, und nicht mitzulachen, wenn sexistische Bemerkungen fallen, sondern zu sagen, hey, das finde ich nicht ok. Dann ist das schon mal ein wichtiges Zeichen nach aussen gesetzt. Und wenn es möglich ist, sich öffentlich dafür auszusprechen, oder in Vereinen und Organisationen mitzuarbeiten, sei es ehrenamtlich oder im eigenen Beruf und Arbeitsumfeld. Mann kann sich im Unternehmen als Vorreiter zeigen und offen darüber sprechen, dass es einen glücklich macht, weniger zu arbeiten und mehr Zeit für anderes zu haben.

Allerdings ist gerade die Arbeitswelt heikel, was das Thema Gleichstellung betrifft, da fühlen sich manche Männer durchaus schon benachteiligt und beklagen sich etwa über die Quote. Und auch wenn das manchmal als Witz daherkommt, steckt dahinter durchaus die Angst, einen Job nicht zu bekommen.

Tja, das ist eine schwierige Argumentationsgrundlage, weil sich für mich dabei die Frage stellt, woher ein Mann den Anspruch auf eine Position nimmt, wenn es um Qualifikationen und die Eignung für einen Job gehen sollte. Qua seines Mannseins sollte er keinen Anspruch auf bestimmte Berufe oder Tätigkeiten haben, auch wenn uns das die Gesellschaft und unser patriarchales System suggerieren.

Jetzt würden aber diese Männer sagen, dass die Quote ja genau das macht, dass das Geschlecht ausschlaggebend wird und dass eine Frau nur deshalb in eine Position kommt …

Das stimmt so nicht. Die Quote kommt erst dann zum Zuge, wenn es um die gleichen Qualifikationen geht. Da liegt hoffentlich ein seriöses Auswahlverfahren zugrunde, das diejenigen herausfiltert, die für einen Job qualifiziert sind. Und solange in den verschiedenen Ebenen die weibliche Perspektive unterrepräsentiert ist, ist es in meinen Augen einfach nur fair, wenn die qualifizierten Frauen in die Positionen kommen. Ausserdem profitiert auch die Wirtschaft davon. Es gibt zahlreiche Studien, die Vorteile für Unternehmen aufzeigen, wenn sie ausgewogene Teams haben, weil dann mehrere Perspektiven und innovativere Ideen eingebracht werden, und zudem die Leistungen besser werden. Die Quote ist meiner Meinung nach kein schönes Instrument, sondern ein notwendiges. Hätten wir genug Frauen, die sich für die Jobs bewerben und hätten wir die unterschiedlichsten Vorurteile im Bewerbungsverfahren nicht, bräuchten wir auch die Quote nicht.

Gehen wir nochmals einen Schritt zurück. Sie bezeichnen sich selber als Feminist. Der Begriff ist aber ziemlich in Verruf geraten. Wieso ist das Wort Feminismus so verpönt?

Ich nehme auch wahr, dass der Begriff Feminismus sehr viel Irritation auslöst, viele Assoziationen mitbringt und negative Gedanken bewirkt. Für mich hängt das damit zusammen, dass der Feminismus an sich eine sehr breite Bewegung ist und es ganz unterschiedliche Ausprägungen und Forderungen gibt. Einige davon werden in manchen Augen als sehr radikal wahrgenommen, weil sie das System komplett anders denken und möglichst schnell aufbrechen wollen. Das ist aus meiner Sicht zwar eine sehr lobenswerte Forderung, praktisch gesehen aber nicht so leicht zu bewerkstelligen und pragmatisch betrachtet kein nachhaltiger Zugang. Diese Stimmen sind dann oft sehr laut, weil sie eben polarisieren und sehr schnell medial aufgegriffen werden.

Was bedeutet Feminismus denn für Sie?

Für mich ist Feminismus eine Freiheitsbewegung, in der wir gemeinsam daran arbeiten, dass wir alle in unserer Gesellschaft so sein und leben können wie wir sind oder wie wir es wollen, also frei von Rollenzwängen und einschränkenden Erwartungshaltungen. Deshalb ist für mich Feminismus auch etwas, das wir gemeinsam gestalten müssen, also keine reine Frauensache, auch wenn der Begriff aus der Frauenbewegung kommt. In den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten ging es noch sehr stark darum, tatsächliche Grundrechte für Frauen zu erkämpfen, etwa das Wahlrecht, die Familienrechtsreform in den 1970er Jahren, oder 1989 die Reform des Sexualstrafrechts. Es ging also um die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter. Und auch wenn wir hier noch nicht am Ziel sind, so sind wir trotzdem im Feminismus heute viel breiter unterwegs. Eben dank dieser Errungenschaften, die die Frauen bereits erkämpft haben. Heute geht es für uns darum, Gleichstellung in allen Themen mitzudenken und auf vielen Ebenen zu untersuchen. Ich erwähne hier nur mal die Auswirkungen des Klimawandels, die Digitalisierung und die neue Arbeitswelt. Der Feminismus ist für mich facettenreicher geworden.

Sie haben in Ihrem Vortrag im Dezember ein interessantes Zitat des Soziologen Ulrich Beck gebracht. Es besagt in etwa, dass bei den Männern zwar mittlerweile Verständnis für die Anliegen des Feminismus bestehe, Beck spricht von «verbaler Aufgeschlossenheit», bemerkt aber «eine gleichzeitige Verhaltensstarre», also eine Blockade. Wie können sich Männer aus dieser Blockade lösen?

Für den Einzelnen braucht es hier sicher viel Überwindung, weil es tatsächlich darum geht, aus gewohnten Mustern auszubrechen. Schliesslich muss man sich gegen ein nach wie vor geltendes System stellen und Barrieren überwinden. Wenn wir uns gegenseitig ermutigen und darauf hinweisen, dass wir uns von den einschränkenden Männlichkeitsbildern lösen dürfen, hilft das, diese Verhaltensstarre aufzulockern. Es braucht also vor allem einen kollektiven Zusammenhalt. Und es ist auch notwendig, dass wir Männer stärker in die Verantwortung nehmen, ihre Rolle im Feminismus und in der Gleichstellung stärker betonen, so wie wir es mit HeForShe machen. Gleichstellung ist nicht nur Frauensache, sondern betrifft auch uns Männer.

Das könnte aber durchaus zu einer schiefen Optik führen. So als ob die Frauen hier die Unterstützung der Männer brauchen, weil sie es sonst nicht schaffen.

(lacht) Dem kann ich nur mehrere hundert Jahre Gleichstellungsgeschichte entgegensetzen, in denen Frauen eindrucksvoll gezeigt haben, dass sie auch selbst für ihre Rechte kämpfen und Veränderung gestalten können. Ohne die vielen starken Frauen der Vergangenheit wären ja viele Errungenschaften, die uns heute allen – nicht nur den Frauen – zugutekommen, nicht vorhanden. Ich bin absolut überzeugt, dass Frauen es gut alleine könnten, dass es aber länger dauern und etwas schwieriger sein würde, weil man immer auf die Hürde der strukturellen männlichen Dominanz trifft – Entscheidungspositionen und die Hebel der Macht sind eben männlich besetzt. Und die muss man in irgendeiner Form überzeugen, diese Veränderung auch mitzugestalten. Was ich mir schwer vorstellen kann, ist, dass Feminismus nur mit Männern funktionieren kann. Da fehlt mir einfach die Perspektive der Frauen. Wir als Männer und Nutznießer des Systems können uns nur begrenzt in die Lebensrealität von Frauen als Unterdrückte des Systems hineinversetzen. Da würde dem Feminismus der so zentrale Befreiungsgedanke abhandenkommen. Gemeinsam ist es die beste Lösung, weil wir dann schneller diese Veränderung gestalten können, die es für alle braucht. Es geht darum, Männer, die in Entscheidungspositionen sitzen mit an Bord zu bekommen und sie dazu zu bringen, ihre Macht zu teilen.

Also auch den Platz frei zu machen oder in die zweite Reihe zu gehen. Das ist wohl der größte Knackpunkt. Wie kann man Männer Ihrer Meinung nach dafür gewinnen, dass sie das tun?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, dazu braucht es tatsächlich diese Bewusstseinsarbeit, von der wir zu Beginn gesprochen haben. Also das Aufzeigen, welche Möglichkeiten sich uns bieten, wenn diese männliche Verhaltensstarre aufgelöst wird. Gelebte Gleichstellung beinhaltet auch das Wissen darum, dass es für alle besser ist, wenn Machtpositionen geteilt sind. Wir haben in den letzten Jahrzehnten gesehen, dass Macht in den Händen der Männer nicht immer gut aufgehoben ist. Macht geht auch mit Verantwortung einher und diese allein bei den Männern zu lassen, kann ein sehr riskantes Unterfangen sein, wie wir überall auf der Welt erleben. Männer bringen nur einen bestimmten Blickwinkel mit, dem viele Perspektiven fehlen. Ich glaube auch, dass es viele Männer gibt, die zunehmend erkennen, dass sie diese Macht eigentlich gar nicht haben wollen, weil sie eher einer Erwartungshaltung entsprungen ist, die Mann zu erfüllen versucht hat. In Wahrheit wäre es ihnen lieber, wenn sie sich in Ruhe um ihre Kinder kümmern oder ihren Hobbies nachgehen könnten und diese Verantwortung mit anderen teilen oder ganz abgeben könnten. Mehr Lebensqualität, glücklichere Beziehungen zu sich selbst und zu anderen sind letztlich ein nicht zu unterschätzender Gewinn.

Sollen demnach alle Männer Feministen sein?

Ich glaube, es geht weniger darum, dass wir uns als Feministen bezeichnen, sondern dass wir gleichstellungsorientiert und feministisch leben und handeln. Hier braucht es tatsächlich mehr Männer, die das tun. Für die Sichtbarkeit wäre es natürlich wertvoll, wenn sich auch die Männer als Feministen bezeichnen. Für die Veränderung ist das Verhalten aber für mich entscheidender. Idealerweise machen sie beides.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Gerhard Wagner, 29, ist Obmann des gemeinnützigen Vereins HeForShe Vienna. Der ausgebildete Betriebswirt und Sozialökonom arbeitet seit Sommer 2021 als Experte für Gender Balance und Diversität bei den Wiener Stadtwerken. Davor begleitete er als Unternehmensberater verschiedene Organisationen zu Fragestellungen im Bereich Gleichstellung und Diversity Management u.a. im Rahmen des Projekts «100 Prozent – Gleichstellung zahlt sich aus.» Er ist Co-Organisator des Netzwerks REloading Feminismus, publiziert in unterschiedlichen Medien, hält Vorträge und gibt Workshops. Infos unter www.heforshe-vienna.at

HeForShe ist eine UN Kampagne, die durch die Rede von Emma Watson im Jahr 2014 weltweit bekannt wurde. Damals rief die britische Schauspielerin in ihrer Funktion als UN Women Sonderbotschafterin und Gesicht der Kampagne Männer und Burschen dazu auf, sich aktiv für die Rechte von Frauen einzusetzen. Weltweit entstanden daraufhin Solidaritätsgruppen, zu denen auch HeForShe Vienna und HeForShe Graz gehören, die sich im Jahr 2016 bildeten. Ziel ist es, Menschen aller Geschlechter zu ermuntern, sich für gleiche Rechte zu engagieren. www.heforshe.org